Villa per Gutachten für „wertlos“ erklärt: Abriss erlaubt

Eine Jahrhundertwende-Villa in Penzing steht vor dem Abriss. Sie wurde per Privatgutachten als „nicht erhaltenswert“ eingestuft. Die Behörden von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) sind diesem Gutachten gefolgt, obwohl sie dem Abriss noch ein Jahr zuvor nicht zugestimmt hatten.

Lässt sich per Gutachten jedes Haus abreißen? Kann der Abriss-Schutz so leicht umgangen werden?

Dieser Artikel wurde im April 2024 aktualisiert.

Altbau in der Linzer Straße, Bäume
Die 1902 erbaute Villa in der Linzer Straße 338 darf abgerissen werden. (Foto: 2023, anonym)

Villa ohne Schutzzone

Wer WienSchauen regelmäßig verfolgt, könnte den Eindruck gewinnen, als gäbe es in Wien keinerlei Gesetze zur Altstadterhaltung. Aber ganz so ist es nicht. Die Stadt hat sich etliche Instrumente gegeben, um Häuser vor der Zerstörung zu schützen. Möglich ist das mittels Schutzzonen (seit den 1970ern) und bei vor 1945 erbauten Häusern (seit 2018). Wie diese Instrumente tatsächlich eingesetzt werden und funktionieren, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Die 1902 erbaute Villa in der Linzer Straße 338 steht in keiner Ortsbild-Schutzzone. Eine Schutzzone kann Abbrüche und grobe Umbauten von erhaltenswerten Gebäuden verhindern. Die Chance, eine Schutzzone für das Haus festzulegen, bot sich 2019, als der örtliche Flächenwidmungsplan geändert wurde. Der Zeitpunkt ist kritisch, denn nur ein Jahr zuvor war das Wiener Baugesetz geändert worden. Seither können auch sehr unterschiedliche Gebäude zusammen in eine Schutzzone kommen. Das ist auch sinnvoll, denn nicht nur ganz alte Gebäude und einheitlich bebaute Straßenzüge können erhaltenswert sein.

Obwohl es also rechtlich möglich war, kam die Villa in der Linzer Straße 338 nicht in die Schutzzone – ganz anders als etliche Nachbarhäuser. Warum kamen manche Häuser in die Schutzzone, andere nicht? Die Architekturbehörde (MA 19) erklärte, einige Gebäude konnten damals „aufgrund ihrer Bauform und ihres Maßstabes, nicht als Teil des schützenswerten secessionistisch geprägten Ensembles eingeordnet werden.“ An dieser Begründung kann aber etwas nicht stimmen. Wäre die Schutzzone nach den aktualisierten gesetzlichen Bestimmungen eingerichtet worden, hätte die Villa ohne Zweifel aufgenommen werden müssen. Oder war der Abriss ohnehin schon lange eingeplant?

Villa in Wien-Penzing hinter Bäumen, Fachwerk, Jahrhundertwende-Architektur
Linzer Straße 338 (Foto: anonym, 2023)

Behörde per Privatgutachten ausgehebelt

Seit 2018 braucht es gar keine Schutzzonen mehr, um Abbrüche von Altbauten zu verhindern. Die MA 19 kann vor 1945 erbaute Häuser nun als erhaltenswert einstufen und Abbrüche untersagen. Genau das hat sie im Fall Linzer Straße 338 getan. 2021 wurde der Abbruch verweigert, das Haus schien gerettet.

Doch dabei blieb es nicht. „Ein überzeugendes Gutachten eines anerkannten Professors für Projektmanagement und Projektentwicklung im historischen Kontext“ wurde der Behörde vorgelegt. Und sieh an:

Mit Stellungnahme vom 19. August 2022 hat sich die MA 19 diesem Gutachten angeschlossen und damit bestätigt, dass aus Stadtbildgründen kein Einwand gegen den Abbruch besteht.

Warum nicht erhaltenswert?

Diese Vorgänge haben in der Nachbarschaft zu erwartbarer Unruhe geführt. Anrainer forderten, dass der Abbruchbescheid noch einmal geprüft und ein weiterer externer Gutachter hinzugezogen wird. Daraufhin erklärte die Baupolizei, dass …

… ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Gebäudes aus Stadtbildgründen nicht besteht. Somit ist die Abbruchbewilligung zu Recht erteilt worden und es liegen auch keine neuen Tatsachen vor, die eine andere Beurteilung erfordern würden.

In einer anderen Erklärung gab die Behörde bekannt, dass …

… die für Architektur und Stadtgestaltung zuständige MA 19 das Gebäude nicht als erhaltenswert eingestuft hat, weil zahlreiche Überformungen und Abänderungen stattgefunden haben, sodass es nicht mehr im originalen Zustand vorhanden ist.

In Summe bietet sich folgender Verlauf:

  • 2018 wurde das Baugesetz geändert, sodass Schutzzonen flexibler eingesetzt werden können. Zudem lassen sich auch Altbauten außerhalb von Schutzzonen seither schützen.
  • 2019 wurde das Haus in der Linzer Straße 338 nicht in die Schutzzone aufgenommen.
  • 2021 stufte die MA 19 das Haus als erhaltenswert ein und verweigerte den Abriss.
  • 2022 wurde (beauftragt wohl vom Eigentümer) ein Gutachten angefertigt, das dem Haus seinen Wert für das Stadtbild abspricht. Die MA 19 schloss sich diesem Gutachten an.
  • 2023 wurde die Abbruchbewilligung erteilt.

Was wäre geschehen, wenn das Haus 2019 in die Schutzzone gekommen wäre? Hätte sich die Schutzzone ebenfalls so einfach per Privatgutachten aushebeln lassen?

Gebäude in der Linzer Straße 338 in 1140 Wien, Bäume, Architektur der Jahrhundertwende
Linzer Straße 338 (Foto: anonym, 2023)

Villa darf abgerissen werden

Der Abriss wurde durch die zum Ressort von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) gehörende MA 19 ermöglicht. Das ist verwunderlich, denn die MA 19 ist in den meisten Fällen auf der Seite des Erhaltens und versucht oftmals auch Abbrüche von eher unscheinbaren Häusern zu verhindern.

Warum hat man sich bei dem Haus in der Linzer Straße 338 auf ein privates Gutachten verlassen? Fehlte der Behörde der nötige politische Rückhalt, um ein Gegengutachten zu beauftragen und sich durchzusetzen? Waren von außen nicht erkennbare Gründe bzw. Kräfte am Werk? Oder gab das Wiener Baurecht einfach keine Möglichkeiten her, um den Erhalt durchzusetzen?

Stadträtin Sima hat in der Vergangenheit mehrfach erklärt, dass sie Häuser vor dem Abbruch bewahren will. Trotzdem haben ihre Behörden dem Abriss zugestimmt. Damit folgt Sima dem zweifelhaften Vorbild von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ), unter deren Führung schon unzählige Gebäude wegen „Abbruchreife“ demoliert worden sind. Im Falle des Falles ist es mit dem Altbau-Schutz in Wien also nicht viel her. Wer das passende Gutachten hat, kommt damit offenbar durch.

Wohnhausanlage soll Altbau ersetzen

Wo sich derzeit noch die Villa befindet, soll eine Wohnhausanlage entstehen. Die Behörden geben an, auf hochwertige Architektur und Materialität geachtet zu haben. Visualisierungen lassen durchaus auf eine Architektur schließen, die über dem gestalterischen Neubau-Niveau in Wien liegt. Offenbar gibt es aber Probleme mit der Genehmigung, wie die Behörden Anfang Juni erklärten:

Seitens der Bauwerberin RENOVUM Projekt GmbH wurde am 1. März 2023 um Baubewilligung für die Errichtung eines Wohngebäudes mit 18 Wohnungen nach dem vereinfachten Baubewilligungsverfahren gemäß § 70a der Bauordnung für Wien angesucht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 30. Mai 2023 untersagt.

Villa in der Linzer Straße hinter Bäumen
(Foto: anonym, 2023)

Dass angesichts des massiven Flächengewinns – fünf Geschoße dürften projektiert sein – ein Abriss und Neubau präferiert wird, verwundert nicht. Wirtschaftlich sind Neubauten für Entwickler fast immer interessanter als die Sanierung und der Ausbau von Altbauten. Ermöglicht wird das durch die Bebauungspläne, die oftmals abrissfördernd gestaltet sind. Auf diese Weise werden ganze Bezirke gleichsam zum Abbruch freigegeben. Besonders außerhalb des Gürtels haben Politik und Behörden jahrzehntelang dem ungezügelten Abreißen Tür und Tor geöffnet. (Was natürlich nicht heißt, dass jedes alte Haus per se erhaltenswert ist.)

Anfang 2024: Vorarbeiten für Abriss?

Im März 2024 war das Haus zum Teil eingerüstet zu sehen. Ein Anzeichen für einen baldigen Abriss?

Ähnlicher Fall: Leiner-Haus

Ein ungleich prominenteres Gebäude war das Leiner-Haus in der Mariahilfer Straße. Das historische Kaufhaus war innen und außen in tadellosem Zustand. Trotz Schutzzone wurde es 2021 abgerissen. Auch in diesem Fall schloss sich die MA 19 einem privaten Gutachten an. Oder sie wurde (politisch?) ausgehebelt, was angesichts der enormen wirtschaftlichen Kräfte, die hinter dem Bauprojekt stecken, nicht verwunderlich wäre. Die Stadt Wien ist seit jeher bekannt dafür, den Wünschen von Investoren mitunter bereitwillig nachzukommen (Einkaufszentrum in Wien Mitte, geplantes Heumarkt-Hochhaus, Donau City, Umgebung des Hauptbahnhofs, Hochhäuser in Kagran, DC Tower 2 usw.).

Wer nun fragt, warum Altbauten nicht effektiv vor der Zerstörung geschützt sind und warum es keine brauchbaren qualitätssichernden Verfahren für Neubauten gibt (Stichwort: bestürzende Neubauten), braucht nach einer Antwort nicht länger zu suchen.

Leiner, Mariahilfer Straße, Abriss
Leiner-Haus (Foto: Mai 2021)

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Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

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