Der Plattenbau bei Schönbrunn

Wenige Minuten von Schönbrunn entfernt steht seit 2018 ein Haus mit „Plattenbau“-Ästhetik. Kleine Fenster und graue Streifen sind die Kennzeichen des Gebäudes, in dem Eigentums- und Vorsorgewohnungen untergebracht sind.

Wie bei vielen anderen Neubauten verweist auch die Architektur des Gebäudes an der Rechten Wienzeile auf eine Lücke im Baurecht: Es gibt in Wien keine umfassende Qualitätskontrolle für Neubauten, denn Stadtplanung in Wien ist investorengesteuert. Das muss sich ändern. Die Lösung: Ein transparenter und unabhängiger Gestaltungsbeirat, der alle Entwürfe für Neubauten prüft und Änderungen erwirken kann.

City Apartments an der Wien, Rechte Wienzeile 229, BUWOG, Wohnhaus
Rechte Wienzeile 229: erbaut 2018 (Foto: 2020)

Buwog: Wie Staatsbesitz verscherbelt wurde

Die „City Apartments an der Wien“ in der Rechten Wienzeile, nahe der U4-Station Meidling Hauptstraße, sind ein Projekt der Buwog. Der Bauträger war die längste Zeit im Staatsbesitz und hatte die Aufgabe, Wohnungen für Angestellte des Bundes zu bauen. Unter der schwarz-blauen Bundesregierung – federführend: Finanzminister Karl-Heinz Grasser – wurde das Unternehmen 2004 privatisiert. Beim Verkauf kam es zu Unregelmäßigkeiten, was zu jahrelangen Prozessen führte. „Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Grasser durch Untreue rund um Millionenzahlungen bei der Privatisierung der Bundeswohnungen BUWOG im Jahr 2004 (…) der Republik Schaden verursacht hatte“, berichtete der ORF noch im Jahr 2022.

Als das Gebäude in der Rechten Wienzeile in Planung war, war die Buwog bereits privatisiert. Als das Gebäude fertiggestellt wurde, wurde die Buwog von einem deutschen Immobilienkonzern übernommen.

Planungsdebakel Kometgründe

Das Gebäude befindet sich auf bzw. neben den Kometgründen. Dabei handelt es sich um das Areal eines ehemaligen Möbelhauses, das die Stadtregierung nach den Wünschen der Eigentümer umwidmete. Das lang gehegte Ziel: Der Bau eines Hochhauses und eines Einkaufszentrums. Das rief schon frühzeitig eine Bürgerinitiative auf den Plan. Jahrelange Auseinandersetzungen folgten. Ein Architekt jenes Architekturbüros, das die „City Apartments“ in der Rechten Wienzeile geplant hat, taucht in einer Meldung der Bürgerinitiative bereits im Jahr 2004 auf:

Architekt Podsedensek (Gesellschafter der Betreiberholding) gewinnt seinen selbst ausgeschriebenen Wettbewerb. Berater der Holding: SPÖ Ex-Innenminister Karl Schlögl.

In einem Artikel von 2007 auf der Webseite Aktion 21 ist zu lesen:

Genial. Ein Architekt gründet eine Holding, dringt mit Ex-Minister-Hilfe in rathausinterne Kreise vor, um sein Projekt zu propagieren, und gewinnt den Wettbewerb seiner „eigenen“ Holding. Juristisch mag dies vielleicht erlaubt sein, aber es zeigt ein Sittenbild, in dem ein Naheverhältnis zwischen Rathaus, Architekt und Investor herrscht. Was dazu führt, dass die Stadtplanung unter Stadtrat Rudi Schicker versagt und falsche Entscheidungen trifft.

Die Wiener Stadtregierung hat den Bebauungsplan anno 2008 so festgelegt, dass dadurch eine sehr umfangreiche Bebauung möglich geworden ist. Inwiefern die Allgemeinheit davon profitiert, ist fraglich. Zudem ist die architektonische Qualität auffallend belanglos und stilistisch vielleicht eher in den 1990ern zu verorten. Tatsächlich wird das Hochhaus 2023 fertig. Freuen kann sich der Eigentümer: Er darf viel mehr Fläche bauen und dann auch vermieten bzw. verkaufen. Ein Gewinn, der wenigen nutzt.

Zum Zeitpunkt der Umwidmung regierte die SPÖ in Wien alleine; Bürgermeister war Michael Häupl, Planungsstadtrat Rudolf Schicker. Für die Umwidmung stimmten im Gemeinderat SPÖ und FPÖ (ÖVP und Grüne dagegen). Leidtragend könnten die Händler auf der nahen Meidlinger Hauptstraße werden, die die Konkurrenz durch ein neues Einkaufszentrum fürchten müssen. Mittels neuer Einkaufszentren bestehende Einkaufsstraßen zu schwächen gehört ohnedies schon lange zur Spezialität der Stadtpolitik (Beispiel: Landstraßer Hauptstraße, wo alles nur keine Umgestaltung und Verkehrsberuhigung zustande gebracht wird).

Bezugslos im Wiental

Die Regierung scheint das Wiental (die Fläche und Bebauung um den Wienfluss) planerisch schon lange aufgegeben zu haben. Nicht anders ist zu erklären, warum hier katastrophale Bauten wie das U4 Center entstehen durften. Dass Schutzzonen gegen Abrisse in und um die Wienzeile allerorts fehlen, gehört ohnehin zur traurigen Selbstverständlichkeit in Wien. Beispiele für Abrisse in der Gegend: Schönbrunner Straße 211 und 217, Linke Wienzeile 212. Auf den umgewidmeten Kometgründen wurden abgerissen: Schönbrunner Straße 230 und Schönbrunner Schloßstraße 2.

Das Wohnhaus an der Rechten Wienzeile 229 ist nur ein kleiner Baustein im Planungsdebakel der Kometgründe. Dass nun private Entwickler möglichst viel Fläche bauen wollen, überrascht natürlich nicht. Das Ziel ist legitim. Vielmehr ist erstaunlich, wie die Politik derlei Wünschen willfährig folgt und wie nicht einmal ein gewisser Anspruch auf attraktive Bebauung eingefordert wird. Gerade im Vergleich zu den Nachbarhäusern wird das deutlich. Rücksicht nimmt die Architektur des Neubaus auf diese Häuser nicht. Muss sie auch nicht, denn die Bauordnung der Stadt Wien erlaubt faktisch alles.

Die Planung für das Gebäude übernahmen Delta Podsedensek Architekten. Miteigentümer des Büros ist jener Architekt, den die Bürgerinitiative von Anfang an als treibende Kraft hinter der Umwidmung des ganzen Areals ausmachte.

Rechte Wienzeile 229 (Neubau) und Altbauten, 1120 Wien
Rechte Wienzeile 229: Baujahr 2018 (12. Bezirk, Foto: 2020)

In dem Gebäude sind 144 Eigentums- und Vorsorgewohnungen untergebracht. (Als Vorsorgewohnungen werden Eigentumswohnungen für die Vermietung bezeichnet – also nicht um selbst dort zu wohnen.) Im Immobilienteil der Ärztezeitung wurden 2018 folgende Kaufpreise genannt: 152.000 – 525.000€ für Eigennutzer und 163.000 – 565.000€ für Anleger.

Die Buwog beschreibt das Gebäude folgendermaßen:

In Meidling (…) ist zehn Gehminuten von Schloss Schönbrunn entfernt, leistbares und durchdachtes Wohnen entstanden. Das Konzept der City Apartments an der Wien spricht Menschen an, die vieles auf einmal wollen. Pulsierendes Geschehen neben gemütlicher Auszeit auf der Terrasse. Urbanes Flair, das Platz lässt für kleine Oasen (…)

City Apartments an der Wien – ein weiteres, erfolgreiches BUWOG-Projekt, das zeigt, wie Wohnen geht: Es beginnt bei der Auswahl des passenden Standorts und der durchdachten Architektur im Großen wie im Kleinen. Und ergibt im Ganzen ein Eigenheim, das vielen Ansprüchen auf einmal gerecht wird (…)

Die Monotonie des Gebäudes fällt besonders im Vergleich zum 1910 erbauten Nachbarhaus auf:

Neubau und Altbauten an der Rechten Wienzeile in Wien-Meidling
links: Rechte Wienzeile 229 (erbaut 2018) / rechts: Rechte Wienzeile 231 (erbaut 1910) (Foto: 2020)

Die Farbwahl ist typisch für Wiener Neubauten und besonders bei Investorenarchitektur häufig zu finden: Graue Streifen als wohl kostengünstigste Lösung, einen Rhythmus zu kreieren, ohne auf aufwendigere bauliche Elemente (Erker oder hochwertige Fassadenmaterialien) zurückgreifen zu müssen. Anstatt großer Fenster, attraktiver Baustoffe (Holz, Sichtziegel/Klinker, Naturstein) und Gesimse wird einfach etwas Farbe aufgemalt. So wird zugleich auch die Illusion von Fensterbändern (nebeneinander angeordneten Fenstern) geschaffen – ohne teure Fenster auch wirklich einbauen zu müssen.

Apropos Fensterbänder: Die Betonung der Horizontalen war in der Zwischenkriegszeit ein typisches Stilmittel mit ästhetischem Mehrwert (Beispiele: Hofmühlgasse 20SandleitenhofMollardgasse 28). Auch die Gliederung sehr langer Gebäude gelang damals hervorragend (SchlingerhofHietzinger Hauptstraße 142-144). Fällt das 21. Jahrhundert ästhetisch hinter die krisendurchsetzten 1920er- und 1930er-Jahre zurück?

Ein weiterer Aspekt ist noch die Erdgeschoßzone. Selbige ist abweisend und weitgehend „tot“, was kaum erwähnt werden muss, denn das ist Usus bei Wiener Neubauten. Es gibt auch kein Gesetz, das Gegenteiliges einfordert.

Das Problem der Monotonie

Über 90 Meter ist das Gebäude lang. So lang wie vier typische Parzellen, wie sie in der Gründerzeit (zwischen ca. 1850 und 1918) üblich waren. Wo also sonst vier Häuser mit unterschiedlicher Architektur stehen, steht hier nur ein einziges. Bei solch langen Bauplätzen ist die Gefahr groß, dass das Ergebnis monoton wird.

Während Monotonie noch bis in die Zwischenkriegszeit meist erfolgreich vermieden wurde (Gemeindebauten), gelingt das ab 1960 kaum noch. Der Tiefpunkt dieser Entwicklung sind die Großwohnhäuser („Plattenbauten“) der 1970er, die jegliche Variation missen lassen. Im Vergleich zum Plattenbau gaben sich die Architekten des Gebäudes in der Rechten Wienzeile 229 zumindest Mühe, die schlimmste Langeweile zu übertünchen.

Satellitenbild, Rechte Wienzeile 229, Wiental, Wienfluss, Meidling, Rudolfsheim-Fünfhaus
Monotonie entsteht durch zu große Bauplätze. (Karte: basemap.at)

Abwechslung ist schön

Das berührt ein grundsätzliches Thema: Was macht ein Gebäude, eine Straße und ein Stadtviertel schön? Ein wichtiger Aspekt ist die Vielfalt und entscheidend dafür ist die Perspektive des Fußgängers. Sämtliche vor etwa 1945 errichteten Gebäude sind vor dem massenhaften Aufkommen des Pkw entstanden. Hat das Auto die Fassaden langweilig gemacht, weil die neue Perspektive der Platz hinterm Lenkrad geworden ist? Oder ist das nur Zufall? Lange monotone Fassaden sind im heutigen Wien jedenfalls nichts Ungewöhnliches (Walcherstraße 11-11A, Triester Straße 40).

Entscheidend ist, dass historische Architektur vielfach als attraktiver empfunden wird. Deswegen ist es wichtig, von traditionellen Stilen zu lernen und die Erkenntnisse auf unsere Zeit anzuwenden. Wir müssen nicht historischen Dekor kopieren, auch wenn historisierendes Bauen durchaus sehr gut gelingen kann. Aber unsere Zeit muss lernen, attraktiv und kleinteilig, detailreich und hochwertig zu bauen.

Bestürzende Neubauten

Das hier beschriebene Wohnhaus ist Teil eines Trends, den WienSchauen als „bestürzende Neubauten“ dokumentiert. Dabei ist das Niveau in Hinblick auf die gestalterische Qualität nach unten offen. Im Vergleich zu anderen rezenten Neubauten zählen die City Apartments noch zu den gelungeneren Projekten.

Da bei vielen Bauträger von sich aus kein Interesse an attraktiver Architektur besteht, muss die Stadtregierung eingreifen. Es braucht effektive qualitätssichernde Maßnahmen: einen unabhängigen Gestaltungsbeirat, der alle Entwürfe prüft und Änderungen einfordern kann. Rücksichtnahme auf die Umgebung und hohe Qualität bei der Fassadengestaltung müssen die Leitlinien sein. Nationale und internationale Experten müssen diesem Beirat angehören und für bessere Architektur sorgen. Das Wien der Zukunft darf keine Anhäufung von Bausünden werden.

Kontakte zu Stadt & Politik

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen, Fotos

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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