Leidsche Rijn (Utrecht): Neues Stadtviertel mit alten Stärken

Im niederländischen Utrecht wird an einem neuen Stadtteil gebaut, der im Sinne der traditionellen europäischen Stadt geplant ist. Vielfalt und eine Fülle an Details zeichnen die bisher errichteten Gebäude und öffentlichen Räume im Leidsche Rijn Centrum aus.

Platz in einem Neubauareal in Utrecht, Bäume, Fahrräder, Straßenlaterne, Häuser, Balkone, Leute
Brusselplein - der zentrale Platz im Leidsche Rijn Centrum in Utrecht (Foto: 2019, Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0)

Eine Stadt im Wachstum

Utrecht ist mit rund 374.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt der Niederlande. Die für ihre progressive Verkehrspolitik – der Radverkehr erhält Priorität – und den gut erhaltenen historischen Kern bekannte Stadt wächst stark. Knapp vier Kilometer vom Zentrum entfernt entsteht mit Leidsche Rijn ein neuer Stadtteil, dessen Bau 2030 abgeschlossen sein soll.

Karte von Utrecht mit eingezeichneten Orten (Leidsche Rijn, Stadtzentrum, Hauptbahnhof, Autobahntunnel)
Leidsche Rijn liegt westlich vom Stadtzentrum (Karte: OpenStreetMap, abgerufen April 2024, bearbeitet v. G.S.)

Die neuen Gebäude im Kernbereich sind meist rund vier bis fünf Stockwerke hoch, 5000 Wohnungen sollen errichtet werden.[20] Insgesamt ist in Leidsche Rijn der Bau von 30.000 Wohnungen projektiert. Eine Nutzungsmischung zwischen und innerhalb von Gebäuden wird angestrebt.[21]

Den Grundstein für das Leidsche Rijn Centrum bildet die Überplattung einer Autobahn. Der dadurch entstandene Höhenunterschied wird für Garagen und die Logistik genutzt. An der Oberfläche ist ein „urbanes Gefüge aus Straßen, Gassen, Plätzen, Höfen, Parks und Kanälen, das auf Fußgänger und Radfahrer ausgerichtet ist.“[9] Die Planung des Leidsche Rijn Centrum begann 2003, der Masterplan für das Kerngebiet ist von 2010.[19] Im hier behandelten Kerngebiet, das 2018 fertiggestellt wurde, …

… befinden sich Geschäfte (30.000 m2), Büros (10.000 m2), Restaurants, Dienstleistungs- und soziale Einrichtungen (10.000 m2) sowie 800 Wohnungen (…) [und] eine Parkgarage für 2.100 Autos (…) [21]

Weitere Infos zur Planung sind ganz unten in diesem Artikel.

Karte eines Neubauareals von Utrecht mit Infos zu Gebäuden und Verkehrsflächen
Leidsche Rijn Centrum (Karte: OpenStreetMap, abgerufen im April 2024, bearbeitet v. G.S.)

Bahnhof

Leidsche Rijn ist nur wenige Minuten mit dem Zug vom Utrechter Hauptbahnhof entfernt. Mit dem Fahrrad sind es 15 Minuten auf einem komfortablen Radweg. Der Bahnhof Leidsche Rijn wurde 2013 eröffnet. Hervorstechend sind die hohen Säulen.[6]

Busstation

Zwischen Bahnhof, Kfz-Fahrbahn und Radweg ist eine Bushaltestelle mit ausgeklügelter Dachkonstruktion. Da sich direkt darunter ein Tunnel befindet, musste sparsam und mit leichten Materialien gebaut werden.[7]

Die planende Architektin über den Bau:

Das Konzept besteht aus einem Balanceakt mit Stahl und Stoff, der Schönheit und Technik verbindet: Ein zusammengesetzter dreieckiger Stahlrahmen mit den Maßen 55*70 Meter hängt an zehn 15 m hohen Säulen, zwischen denen Membranen auf- und abgespannt sind. So entsteht ein kathedralenartiger Effekt. Die Kabel und Stangen, die Dachrinnen und die Klemmrahmen, die Regenwasserableitung, die Farbe – sie alle bereichern und schmücken diese Skulptur und machen sie zu einem Ornament. [7]

Brusselplein: Neuer Hauptplatz

Der zentrale Platz des Leidsche Rijn Centrum ist eine von Läden und Gastronomie gesäumte und mit Bäumen bepflanzte Freifläche mit Wasserspielen in der Mitte. An einer Seite steht mit der Bibliothek ein architektonisch markantes Gebäude. Dass in der Mitte durchaus freier Platz gelassen wurde und nicht jeder Quadratmeter mit Gegenständen oder größeren Grünflächen besetzt ist, erweist sich als Vorteil: Die Freifläche kann unterschiedlich genutzt werden, während die vielen Bäume Schutz vor der Hitze bieten.

Der charakteristische Boden besteht aus gelben, hart gebrannten Klinkern; (…) Die Textur ist fein und das diagonale Gitter aus silbergrauen Granitblöcken verleiht Dynamik und Größe. In dieses Muster sind Bäume eingefügt, die eine geschützte grüne Atmosphäre schaffen. Zum einladenden Charakter des Platzes kommt eine Attraktion hinzu: das plätschernde Wasserelement am Kopf des Platzes. [8]

Auf einer Seite des Platzes steht ein Gebäude, in dem eine öffentliche Bibliothek untergebracht ist:

Die Volumetrie und Allseitigkeit des Gebäudes steht im Einklang mit einer reichen Tradition öffentlicher Bauten, wie der Rotonde de la Villette von [Architekt Claude Nicolas] Ledoux in Paris oder der Stockholmer Bibliothek von [Architekt Gunnar] Asplund. Die Bibliothek befindet sich in den unteren beiden Etagen und ist um eine zentrale Multifunktionstreppe unter dem „Oculus“ angeordnet. Im obersten Stockwerk befindet sich das Bezirksamt. (…) Ein Innenhof versorgt nicht nur das Gemeindebüro mit zusätzlichem Tageslicht, sondern lässt über das „Oculus“ auch Licht in das Herzstück der Bibliothek. [1]

Der Logik des motorisierten Individualverkehrs folgend bringen das Fehlen effektiver Planung und Raumordnung die bekannten Konsequenzen mit sich: niedrige bauliche Dichte, hoher Boden- und Ressourcenverbrauch, unwirtliche öffentliche Räume, sowie hohes Verkehrsaufkommen durch große Entfernungen. Das Gegenteil findet sich in Leidsche Rijn, wo an die Stärken alter Städte angeschlossen wird:

Ein starkes Merkmal ist die Vielfalt und Abwechslung der Funktionen: ein lebendiger, öffentlicher Sockel mit Geschäften und Restaurants mit darüber liegenden Wohnungen sowie Einrichtungen wie Bibliothek, Kino, Kulturstätten, Hotel, Schulen, gemischt mit Büros.  Die Struktur des Stadtzentrums knüpft an die Tradition der europäischen Stadt an: ein öffentlicher Raum mit fünf- bis siebenstöckigen Gebäuden und einem reichhaltigen und ausgedehnten Netz öffentlicher Räume (…), gut angebunden durch öffentliche Verkehrsmittel (Bahn, Bus) und Radwege. Das städtische Gewebe fördert das Leben auf der Straße und den Fußgängerverkehr. [9]

Auf dem Foto unten zu sehen ist ein Wohnblock, …

… der aus zwei U-förmigen Baukörpern besteht, die von einem Fahrradweg durchschnitten werden und einen erhöhten, intimen Innenhofgarten einschließen. Dieser fünfstöckige Block umfasst 150 Wohnungen und 5.000 m² Verkaufsfläche. (…) Um den Wünschen des Bauherrn gerecht zu werden, verfügt das Gebäude über flexible Grundrisse, eine breite Palette von Wohnungsgrößen und -typologien, Fahrradaufzüge und überdurchschnittlich große Außenbereiche. Zu den Schwerpunkten des Projekts gehört eine nachhaltige Energiegewinnung durch Kälte- und Wärmespeicherung. [17]

Eines der planenden Architekturbüros, Dok Architekten aus Amsterdam, über das Leidsche Rijn Centrum:

Die Straßen sind mit Wohnhäusern, großen und kleinen Boulevards gefüllt. Mit aktiven Plätzen voller Terrassen, Cafés und Restaurants. Städte wie Berlin und Barcelona haben ein großes Zentrum mit mediterraner Atmosphäre inspiriert. Der Sockel, der mit Startups und Geschäften gefüllt ist, ist aus Naturstein gefertigt. Besondere Reliefs und Veredelungen prägen die bunten Fassaden in Gelb, Rot und Braun. Der Architekt Jo Coenen entwickelte einen Masterplan für das Gebiet auf und entlang der [Autobahn] A2, in dessen Rahmen sieben Architekten (…) mit der Gestaltung beauftragt wurden. Die daraus resultierende Mischung von Stilen und Geschmäckern ergibt ein verspieltes Straßenbild, als ob das Zentrum über die Jahre gewachsen wäre. [2]

Die Belieferung der Geschäfte erfolgt teils unterirdisch:

Ausgangspunkt für den zentralen Einkaufsbereich ist eine große unterirdische Be- und Entladezone (…) Von der Be- und Entladezone aus werden die Waren in Rollcontainern weiter transportiert. Auf diese Weise können die Geschäfte im oberen Bereich und ein Teil des unteren Bereichs beliefert werden. Der andere Teil des Einkaufsbereichs wird vom öffentlichen Raum aus beliefert. [23]

Die Ecke zur Londenstraat (Foto unten) ist durch eine turmartige Erhöhung akzentuiert – ganz nach dem Vorbild alter Architektur, ohne aber mit Stilkopien zu arbeiten. Vor den Gebäuden stehen Baumreihen, unter einigen Bäumen sind Sitzgelegenheiten.

Das Gebäude auf den Fotos unten wurde vom Büro Kollhoff & Pols aus Den Haag geplant.

Die Gebäude zeichnen sich durch eine klassische dreiteilige Fassadenarchitektur aus. Bei allen drei Gebäuden beherbergt der hohe Sockel aus belgischem Blaustein gewerbliche Funktionen oder gastronomische Einrichtungen. Über Laubengänge gelangen die Bewohner in die darüber liegenden Wohnungen. In der Vertikalen schließen die Gebäude alle mit einem Satteldach ab, was ihnen sofort einen familiären Charakter verleiht. [3]

Londenstraat

Die Straße ist eine Zufahrt zum zentralen Platz (Brusselplein). Auf einer Seite sind Bäume, die Gehsteige sind beidseitig breit und gepflastert.

Ein Gebäude in der Londenstraat ist ein sozialer Wohnbau (Foto unten). Auf dem Dach sind Solaranlagen installiert, das Haus ist an das Fernwärmenetz angeschlossen, die Dämmung entspricht den Anforderungen für nahezu energieneutrale Gebäude.[18]

Kopenhagenstraat

Das markante Gebäude an der Ecke Brusselplein/Kopenhagenstraat vereint klassische und zeitgenössische Aspekte: Große, regelmäßig angeordnete Fenster sind in der alten Architektur der Niederlande häufig zu finden. Die Balkone sind in gerader Linie übereinander angeordnet, an der erhöhten Ecke sind Loggien. Die Fassade ist voller kleiner Details, der Sockel ist unten mit Stein verkleidet.

Das Architekturbüro über das Gebäude:

Es handelt sich um ein auffälliges, robustes Gebäude aus (…) Ziegelmauerwerk, das sich von den Nachbargebäuden abhebt und so für Abwechslung sorgt. Nach den Regeln des Masterplans bestehen alle Blöcke aus einem Sockel, einem Mittelteil und einem Kronenakzent, und die Eckgrundstücke werden zusätzlich akzentuiert. (…) Das Eckgebäude hat einen stark geschichteten Sockel. Sieben Ziegel nach außen und fünf nach innen bilden einen besonderen Blickfang. Diese Besonderheit verleiht den Häusern auch mehr Privatsphäre, da man sie beim Begehen des Sockels nicht wahrnimmt. Die Privatsphäre wird durch den durchgehenden „Pariser“ Balkon im ersten Stock noch verstärkt. [5]

Direkt anschließend und in der Nähe des Bahnhofs ist ein großer Komplex aus Supermarkt und Parkhaus. Die oberen Geschoße auf dem Foto unten sind Teil des Parkhauses, dessen durchdachte äußere Gestaltung im ersten Moment gar nicht an eine solche Verwendung denken lässt.

Parijsboulevard

Arkaden bzw. Kolonnaden sind in vielen europäischen Städten zu finden, besonders zahlreich etwa in Bologna (Italien), wo fast das gesamte Stadtzentrum aus Arkadenhäusern besteht. Arkaden sind Säulengänge mit Bögen, bei Kolonnaden ist das Gebälk (die Decke) gerade. Am Parijsboulevard im Leidsche Rijn Centrum sind Kolonnaden durch mehrere Häuser durchgezogen. So entstehen Räume, die an die italienische Architektur des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts erinnern (z. B. in Mailand).

Das dreiseitige Gebäude auf den Fotos unten dürfte an die Formensprache der 1920er und 30er angelehnt sein: abgerundete Balkone wie im Bauhaus, horizontale gliedernde Elemente (auch bei Wiener Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit zu sehen), gebänderte Fenster und Ansätze zu Fensterbändern (siehe auch die Wiener Werkbundsiedlung) und gelbe Klinker, wie bspw. beim 1935 eröffneten Kunstmuseum Den Haag.

Luxemburgpromenade

Eine Fußgängerzone mit angenehm dimensionierter Breite – nicht zu schmal, nicht zu breit. Die Bodenbeläge sind mit Steinpflaster an den Rändern und Klinker in der Mitte ausgeführt. Die Umfassungen der Baumscheiben dienen als Bänke, denen aber Rückenlehnen fehlen.

Das Gebäude an der Ecke von Luxemburgpromenade und Vaduzdijk hat einen hohen Sockel, über dem durchlaufende Balkone angeordnet sind.

Praagpromenade

Eine kurze Fußgängerzone, die Brusselplein und Parijsboulevard verbindet. Die vom Architekturbüro Geurst & Schulze geplanten Gebäudeteile …

… zeichnen sich durch nachhaltig gestaltete Fassaden mit einem Raster aus Rahmen um die Fassadenöffnungen aus. Diese Rahmen geben den Fassaden ein Relief und sind in Ziegelmauerwerk oder sandgestrahltem Betonfertigteil ausgeführt. (…) Die verschiedenen Kombinationen des Fassadenrasters mit Rahmen und der Fassadenmaterialien bestimmen die Fassaden unserer Gebäudeteile. [4]

Das Bürogebäude „Uffizi“ hat im Erdgeschoss einen doppelhohen Sockel für den städtischen Einzelhandel und darüber drei Ebenen mit Büros. Die obere Etage bildet mit einer Pergola einen runden Abschluss des Gebäudes. Die Haupteingänge zu den Büros und Geschäften am Parijsboulevard sind mit einer beeindruckenden, durchgehenden Kolonnade versehen. (…) Das Mauerwerk der Fassade ist in zwei Farben gehalten: nuanciertes Rotbraun und Sand-Creme, kombiniert mit sandfarbenem, gestrahltem Fertigteilbeton. Die bronzefarbenen Fensterrahmen und Fassaden weisen eine raffinierte Profilierung auf, die eine zusätzliche Beschattung der Rahmenprofile ermöglicht. (…) Die Pflasterung der Arkaden (..) ist in einem rautenförmigen Mosaikmuster aus verschiedenfarbigem Granit gestaltet, das auf das Fassadenraster (…) abgestimmt ist. [4]

Wenenpromenade

Die „Wiener Promenade“ hat mit der neueren Wiener Architektur wenig gemein. Während in Wien häufig karge Putzfassaden mit grauen Farbtönen dominieren, wartet die Utrechter Promenade mit freundlichen und abwechslungsreichen Fassaden auf.

Ein näherer Blick lohnt sich: Die Anordnung und Farbe der Klinkersteine, die unterschiedlichen Farben von Fassadenflächen, Fensterrahmen und Balkonen und die Sprossen der Fenster erzeugen ein abwechslungsreiches Gesamtbild, ohne in Unordnung auszuufern (siehe Foto unten).

Hof van Bern

Ein kleiner Platz hinter dem breiten Parijsboulevard. Die verschiedenen Architekturen der Gebäude und die Form des Platzes ergeben ein Bild, wie es sich bei gewachsenen Städten findet. Der öffentliche Raum bietet Bäume und Sitzmöglichkeiten, ist aber nicht mit zu vielen Gegenständen verstellt.

Das planende Landschaftsarchitekturbüro über den Hof van Bern:

Die Kronen der Bäume bilden ein luftiges Dach über einem Teil des Platzes und sorgen für Abkühlung in heißen Zeiten. Da sich sowohl unter den Gebäuden als auch unter dem öffentlichen Platz ein Parkhaus befindet, müssen die Bäume besonders geschützt werden. Hier wurde eine lange Bank gewählt, die sich wie ein großer Kragen um den Baum legt und ihm einen Platz reserviert, an dem er gut wachsen kann. Diese großzügigen Baumscheiben sind mit einem Belag versehen, so dass sie auch als attraktive Spielobjekte fungieren. [8]

Umfeld

Auf dem nahen Berlijnplein steht eine Dachkonstruktion, die vom alten Utrechter Hauptbahnhof stammt. Bei einer Renovierung im Jahr 2013 wurden die letzten historischen Bahnsteigdächer aus dem 19. Jahrhundert entfernt und in Leidsche Rijn wiederaufgebaut.[12]

Eine alte Bahnhofsüberdachung des Hauptbahnhofs wurde auf die Tunneldecke der Autobahn A2 bei Utrecht gesetzt. Ein Dach auf einem Dach. Seite an Seite entsteht so eine Art quadratische Halle von über 1.000 m2. Es handelt sich nicht mehr um einen Bahnhof, sondern um eine Art Markthalle, in der alle Arten von Veranstaltungen organisiert werden können. [15]

Der Stadstuin („Stadtgarten“) ist eine neu errichtete Parkanlage, die auf einem an die Bahnarchitektur um 1900 erinnernden Bauwerk liegt. Das planende Landschaftsarchitekturbüro hat sich beim Entwurf an den „Werftkellern“ in der Altstadt von Utrecht orientiert.[13] Dabei handelt es sich um direkt an Kanälen gelegene Räume, die unterhalb des Straßenniveaus liegen. Zum Stadstuin:

Ein langer, stilvoller Stadtgarten zum Flanieren. Voll von Pflanzen und Blumen. Der Stadstuin ist nicht nur ein Park, sondern überbrückt auch den Höhenunterschied im Leidsche Rijn Centrum. Unterhalb des Parks befinden sich Räume für kreative Unternehmen. [14]

Infos über die Planung

Ein lebendiges Quartierszentrum entsteht nicht von alleine. Architektur, Verkehr und Nutzung sind das Ergebnis jahrelanger Planungen und Umplanungen. Das Leidsche Rijn Centrum wurde vom niederländischen Büro Jo Coenen Architects & Urbanists geplant. Die öffentlichen Räume sind vom Landschaftsarchitekturbüro Baljon.

Der öffentliche Raum ist durch ein breites Spektrum an Räumen gekennzeichnet. Zum Teil handelt es sich um bekannte urbane Elemente wie Straßen, Promenaden, Boulevards und Plätze, aber auch um besondere Räume wie Arkaden, einen Stadtgarten, Passagen und Höfe. (…) Das Projekt ist nachhaltig (…) durch die Verwendung von Materialien, die schön altern (mit sorgfältiger solider Detaillierung), durch seine flexible Funktionalität, intensive Raumnutzung, (…)  integrierte umweltbewusste Energieversorgung und Vorrang für Fußgänger und Radfahrer. Letzteres wird durch die unmittelbare Nähe zum Bahnhof und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht, während Auto- und Lieferverkehr die Stadt unterqueren. Dadurch ist ein großer Teil des öffentlichen Raums autofrei oder als Fußgängerzone gestaltet. [8]

Bei der Planung wurde auf die europäische Stadt Bezug genommen:

[Stadtplaner] Jo Coenen ließ sich unter anderem von dem von Rafael Moneo entworfenen Rathaus in [der spanischen Stadt] Murcia, der Innenstadt von Mannheim und den Straßenprofilen in den habsburgischen Vierteln von Triest inspirieren. [Die Architekten] Kollhoff & Pols führten umfangreiche Studien über die niederländische Stadt durch. (…) Die auf die verschiedenen Blöcke verteilten städtischen Gebäude, die das Ergebnis einer kollektiven Entwurfsarbeit sind, suchen ausdrücklich eine Beziehung zum städtischen Raum. (…) Der zentrale Bereich verfügt über solche Qualitäten, dass er künftige Nutzungsänderungen problemlos verkraften kann. [11]

In der Ausgestaltung wird eine Balance aus Einheit und Vielfalt erreicht:

Auffallend an den Gebäuden des neuen Stadtzentrums ist die Wahl hochwertiger Baumaterialien, sorgfältiger Details und einer ebenso sorgfältigen und ansprechenden Farbpalette. Die Vielzahl der Architekten führte zu einem abwechslungsreichen Bild, ohne dass es irgendwo in eine Kakophonie von Formen, Farben und Materialien ausartete. Im Gegenteil: Jeder Architekt hat seinem Gebäude ein wiedererkennbares „Gesicht“ gegeben, so dass der Masterplan erkennen lässt, dass die Komposition des Gebiets auf der Tradition der westeuropäischen Stadt aufbaut. [10]

Das Kerngebiet ist ein Einkaufsareal. Wie im Masterplan festgehalten, …

… wird im Leidsche Rijn Centrum kein überdachtes Einkaufszentrum gebaut. Dies wurde gewählt, um das Zentrum so lebendig wie möglich zu gestalten, mit Menschen im öffentlichen Raum, auf den Straßen. (…) Aus dem Wunsch heraus, die Ladenfronten nicht zu sehr zu unterbrechen, werden die Eingänge zu den Häusern so weit wie möglich gebündelt. Um Abwechslung und Vielfalt im Straßenbild zu erreichen, wird fast jeder Block von einem anderen Architekten entworfen. [19]

Bei einem Spaziergang durch das Areal wird man eines vergeblich suchen – ein typisches austauschbares Einkaufszentrum:

Der städtebauliche Entwurf von Jo Coenen Architects & Urbanists weist alle Qualitäten eines klassischen nordwesteuropäischen Stadtzentrums auf. Geschlossene Baublöcke, Straßen von menschlicher und erkennbarer Größe, Abwechslung mit größeren und kleineren Plätzen. Es wurde in Grünanlagen investiert, die bereits eine angemessene Größe haben. (…)

Nicht die strenge, nackte Moderne, die viele neu gebaute Einkaufszentren völlig unattraktiv macht, aber auch nicht Retro-Architektur (…). Die Restaurants und Terrassen befinden sich an den richtigen Stellen und Ecken, wie man es in einem Stadtzentrum erwarten würde. Und das Zentrum hat einen Funktionsmix, der für Lebendigkeit sorgt: Einzelhandel, mit dem Jumbo-Lebensmittelmarkt als Anziehungspunkt, Dienstleistungen, Gastronomie, Büros und soziale Einrichtungen. Die Versorgung erfolgt unterirdisch, das Zentrum ist weitgehend autofrei (…) [16]

Zum Aufbau des Viertels und der Gebäude:

Leidsche Rijn Centrum hat eine klassische Gebäudestruktur: einen Sockel, die Mitte und einen Dachabschluss. Diese Struktur sollte sich in den Fassaden der Gebäudeblöcke wiederholen, um einen Zusammenhalt zu erreichen. Die Fassadenstruktur ist somit einheitlich, wohlproportioniert, ruhig und doch abwechslungsreich: Einheit in der Vielfalt. Im gesamten Gebiet haben die Baublöcke eine Erdgeschosshöhe von mindestens 4,5 Metern. Ausnahmen bilden die Verkehrsachsen, d.h. der Pariijsboulevard und der Centrumboulevard. Entlang des Pariijsboulevard wird der Sockel um ein Geschoss erweitert, so dass im Durchschnitt etwa 7,5 Meter hohe Arkaden für Fußgänger entstehen können. (…) Der Fußgängerbereich unter den Arkaden oder Überhängen ist etwa vier bis fünf Meter tief. [19]

Zu einigen Punkten in der Detailgestaltung:

Die Dachabschlüsse der Baublöcke können aus einer oder zwei zurückgesetzten Schichten [gestaffelte Geschoße?] oder einem Dach bestehen. Diese Schichten und Dächer werden variiert, um wechselnde Dachabschlüsse zu schaffen, die sich als ansteigende und abwechslungsreiche Silhouette abheben. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden die Flachdächer, wo immer möglich, mit einem Gras- oder Sedumdach [Sedum ist ein sukkulente Pflanzengattung] versehen. In der Materialisierung sind die Fassaden durch einen massiven Sockel, zum Beispiel aus Naturstein, geprägt. Die Fassade wird durch Ornamente mit reichen Ziegelsteinplatten und Tektoniken bereichert, um ein ruhiges, aber abwechslungsreiches Bild zu schaffen. Besonders detaillierte hohe Eingangsbereiche und Ecklösungen bereichern dieses Bild. [19]

Von der zentralen Planungsinstanz wurde Qualität eingefordert:

[Projektleiter Richard] Lokhorst spricht von einer ständigen Verhandlungssituation, in der Bauherr und Investor versuchten, Rationalisierungen zu erreichen, wobei der Widerstand der Architekten und der Gemeinde ein gesundes Gleichgewicht herstellte. Wesentliche Planqualitäten wurden dadurch nicht beeinträchtigt. Lokhorst sieht [Stadtplaner Jo] Coenen daher als den Hüter des Plans. [21]

Kultur

Ab 2025 wird im Stadtentwicklungsgebiet ein Kulturzentrum errichtet. Der Cultuurcluster Berlijnplein …

… wird ein lebendiges und nachhaltiges kulturelles Herz für Leidsche Rijn sein. Es wird Ausstellungsräume, Ateliers, Studios für Musik und Proben- und Präsentationsräume für Tanz und Theater geben. Außerdem wird es Raum für Gastronomie, Bildung, Jugendliche und Grünflächen geben. (…)

Für das Gebäude werden so weit wie möglich wiederverwendete oder aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Materialien (wie Holz) eingesetzt. Und die Gebäude sind so konzipiert, dass sie sich mit der Zeit verändern. Wenn später Raum für andere Funktionen benötigt wird, können wir die Gebäude anpassen. [25]

Mobilität

Der fahrende Kfz-Verkehr ist auf der Oberfläche auf wenige Straßen beschränkt, die meisten Verkehrsflächen sind autofrei. Ein dichtes Netz an Radwegen (rote Linien in der Grafik) durchzieht das Viertel und verbindet es mit dem Umfeld. An den hochrangigen öffentlichen Verkehr ist das Leidsche Rijn Centrum über einen Bahnhof angeschlossen, durch das Viertel fahren Busse.

Von einem autofreien bzw -reduzierten Stadtviertel kann zumindest im Sinne des ruhenden Kfz-Verkehrs nicht gesprochen werden, denn es sind viele Garagenplätze vorgesehen:

Als Ausgangspunkt wurde (…) beschlossen, einen privaten Parkplatz pro Wohnung zu errichten und die restlichen Parkplätze (1500) in den öffentlichen Einrichtungen unterzubringen. Dies ist möglich, da der Parkdruck vor den Häusern in den Abendstunden am höchsten ist und zu dieser Zeit gerade noch genügend Parkplätze in den anderen Einrichtungen vorhanden sind. Auf der Grundlage dieser Analyse wurden 10.000 Stellplätze berücksichtigt. [23]

Die im hier zitierten Masterplan vorgesehenen Parkplätze für Leidsche Rijn weichen deutlich von den Vorgaben im Utrechter Stadtzentrum ab. Dort sind beispielsweise für eine 55-80 m2 große neue Wohnung 0,68 Stellplätze bereitzustellen, bei Sozialwohnungen noch weniger.[24] Da sich die Stellplätze in Leidsche Rijn unterirdisch oder im Parkhaus befinden, ist der öffentliche Raum trotzdem weitgehend autofrei, was zu einer angenehmen und ruhigen Atmosphäre beiträgt. Inwiefern das auch im Endausbau (2030) der Fall ist, wird sich zeigen.

Wohnungen

Im Stadtentwicklungsplan des Kerngebiets von 2010 findet sich eine Tabelle, in der insgesamt 1253 Wohnungen angeführt sind. 29% der Wohnungen fallen unter eine als „sozial“ definierte Kategorie.[19]

  • 15% soziale Mietwohnungen (bis zu 648 Euro Miete)
  • 14% soziale Eigentumswohnungen (bis zu 181.512 Euro)
  • 22% freifinanzierte Mietwohnungen (ab 648 Euro Miete)
  • 35% mittelpreisige Eigentumswohnungen (188.000 bis 260.000 Euro)
  • 13% teure Eigentumswohnungen (ab 260.000 Euro)

Im Masterplan ist eine Tabelle mit abweichender prozentueller Verteilung.[22] Inwiefern und wo genau diese Wohnungen realisiert werden bzw. wurden und wie sich die preislichen Grenzen indes geändert haben, ließ sich im Rahmen dieses Artikels nicht ermitteln. Hohe Anteile von gefördertem Wohnbau, wie bei neueren Stadtentwicklungsprojekten in Wien, werden – soweit ersichtlich – in Leidsche Rijn nicht erreicht. In Wien kann die Stadt seit der Gesetzesreform von 2018/2019 festlegen, dass bei Umwidmungen bis zu zwei Drittel der Wohnungen leistbar sein müssen. In der Praxis wird dieser Wert meist unterschritten.

Infos

Fotos

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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