Eine prachtvolle Villa in der Landstraßer Hauptstraße steht leer und verfällt zusehends – trotz Denkmalschutz. Was wird aus dem einzigartigen Gebäude und dem großen Garten?
Hinweis: Der Artikel wurde seit dem Erscheinen (2019) immer wieder aktualisiert (zuletzt im April 2023). Eine umfassende Sanierung des Gebäudes wurde 2023 angekündigt.
Ein Unikum in Wien
Wie aus der Zeit gefallen wirkt die alte Villa in der äußeren Landstraßer Hauptstraße. Das Gebäude, das mit seinen barock-klassizistischen Formen markant aus der gründerzeitlichen Umgebung heraussticht, hat wahrlich schon bessere Tage gesehen. Der Verputz ist stark verwittert, die Ornamente bröckeln, Kletterpflanzen schlingen sich hoch bis zum Dach. Der auf den ersten Blick fast romantische Anblick darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der starke Bewuchs der kunstvollen Fassade wohl kaum zuträglich ist. Auch die teils zersplitterten Fenster und das freiliegende Mauerwerk zeigen: Hier verfällt ein historisches Gebäude.
Die Villa Mautner-Jäger mitsamt dem schmalen Nebenhaus ist ein beispielhaftes Produkt der Belle Époque. Erbaut wurde sie im Jahr 1902 für Hertha Jäger (1879-1970), die aus der Unternehmerfamilie Mautner Markhof stammte, und ihren Mann Gustav (1865-1938), einem Professor für theoretische Physik. Hertha Jäger, die in den 1920ern als alleinige Eigentümerin der Villa aufscheint, dürfte einen Salon geführt haben, wie zahlreiche Zeichnungen des Malers Anton Kling belegen. Sie war ein führendes Mitglied des 1902 gegründeten Bundes Österreichischer Frauenvereine.
Die Pläne für die Villa lieferte der berühmte Architekt Franz Neumann, der u. a. Bauwerke wie die Habsburgwarte am Hermannskogel, die Kuffner-Sternwarte und die Arkadenhäuser am Rathausplatz entworfen hat. Bekannt für seine aufwändigen späthistoristischen Fassaden war Neumann der Überzeugung, „dass die Formen der Vergangenheit konsequent fortentwickelt und weitergebildet werden müssen, damit die Architektur zu zeitgemäßen Formulierungen gelangt.“
Villa weckt Begehrlichkeiten
„Ein mehr als unanständiges Angebot“ – titelte die Wiener Straßenzeitung Augustin im Jahr 2011 und berichtete von einem wahren Kleinkrieg, der sich hinter den schmucken Mauern abgespielt haben soll: Nach einem Todesfall (Hertha Jäger?) wurde die Villa auf mehrere Erben aufgeteilt. Nach und nach gelang es einer großen österreichischen Bank, die Mehrheit an der Liegenschaft zu erwerben. In den 1990ern trafen sich die Bank und die verbliebenen Bewohner wiederholt vor Gericht. Noch 2008 soll es zu einem Zwischenfall mit anschließender Besitzstörungsklage gekommen sein.
Später kam es jedenfalls zu einem Eigentümerwechsel: Das gesamte Grundstück ging in den alleinigen Besitz einer Firma, die einem großen Wiener Immobilienunternehmen zuzuordnen ist, wie die Baupolizei auf Anfrage mitteilte. Hinter der Firma steht ein österreichischer Milliardär, Klemens Hallmann, der vor allem in Immobilien investiert. Die Villa selbst ist seit Sommer 2019 zur Gänze unbewohnt.
Garten als "Asset"?
Dass eine Bank und eine Immo-Firma Interesse an der Villa hatten bzw. haben, erklärt vielleicht ein Blick von oben. Hinter dem Gebäude an der Landstraßer Hauptstraße liegt eine über 1000 Quadratmeter große Grünanlage – die vielleicht exklusiv zur Villa gehört (siehe Foto unten)?
Rundherum geschützt durch Gebäude und angrenzend an einen noch größeren Garten, bietet sich hier eine luxuriöse Ruheoase, wie sie in einer solchen Lage selten zu finden ist. Ob vielleicht gar mit der Errichtung eines Neubaus hinter der Villa spekuliert wird? Wenn ja, wird das nicht ganz so einfach, denn aktuell ist hier ein Parkschutzgebiet. Ohne eine Umwidmung darf also nichts gebaut werden.
Schäden müssen repariert werden
Rein rechtlich hat die Villa den bestmöglichen Schutz vor Zerstörung: Es gelten Denkmalschutz und Schutzzone. Somit besteht auch eine entsprechende Erhaltungspflicht. Der Eigentümer muss das Gebäude in „gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten“ (§129 der Wiener Bauordnung). Die Baupolizei hatte Bauaufträge zur Behebung der Schäden erlassen.
So ist zu hoffen, dass der Denkmalschutz stark genug ist, um die Villa langfristig zu erhalten, und dass nicht ein jahrelanger Leerstand droht, wie etwa bei den Biedermeierhäusern in der Breite Gasse und Freundgasse. Oder wie beim Gründerzeithaus Hetzgasse 8, das jahrelang vor dem Abriss stand.
2020: Warten auf die Sanierung
An dieser Stelle endete der ursprüngliche Artikel vom Dezember 2019. Doch auch Monate später hatte sich der Zustand des Gebäudes nicht erkennbar verändert. Der langsame Verfall ging weiter – trotz Denkmalschutz, trotz Schutzzone und obwohl die Baupolizei eingeschaltet war.
2021: Baupolizei fordert Reparaturen
2019 wurde die Baupolizei erstmals über die Schäden am Gebäude informiert. Von außen erkennbare Sanierungsmaßnahmen folgten aber nicht. Zudem gaben die Behörden lange Zeit keine Auskunft darüber, warum die Erhaltungspflicht anscheinend nicht eingefordert wurde (oder werden konnte?). Erst im Juni 2021 erhielt WienSchauen eine Antwort.
Demnach hatte die Baupolizei im Juni 2020 eine Instandsetzung der Fassaden gefordert. Erfolgt ist das aber nicht, denn die gesetzte Frist lief im März 2021 ab:
Von der Baupolizei wurde festgestellt, dass bis dato die vorgeschriebenen Maßnahmen nicht umgesetzt wurden. Am 28. Mai 2021 wurde von der Baupolizei bei der MA 25 – Technische Stadterneuerung eine Verwaltungsvollstreckung eingeleitet.
Es handelt sich dabei um eine sogenannte Ersatzvornahme. Das heißt: Die Behörden können Reparaturen erzwingen und notfalls sogar Firmen direkt beauftragen. Doch von außen sichtbare Reparaturen erfolgten auch bis Ende 2021 nicht. Beeinspruchte der Eigentümer die Bauaufträge?
2022: Kommen endlich Reparaturen?
Im April 2022 berichtete der ORF über das Gebäude:
Die Villa Mautner-Jäger in der Landstraßer Hauptstraße verfällt derzeit. Ein bekannter Immobilienunternehmer kaufte das Gebäude, seither ist jedoch nichts passiert. Die Baupolizei will jetzt eine Sanierung durchsetzen.
Dr. Gerhard Cech, Leiter der Baupolizei, erklärte gegenüber dem ORF:
Wir haben dort einen Bauauftrag erteilt, dass die Fassade saniert werden muss (…) Wir sind dabei, das auch zu überwachen – dass hier tatsächlich saniert wird
Der Eigentümer ließ den ORF nicht auf das Grundstück. Ein Interview wurde ebenfalls verweigert. Interessant ist auch:
Auf Anfrage wurde von der PR-Agentur des Eigentümers zunächst mitgeteilt, dass so schnell sicher nicht renoviert werde. Wenig später hieß es aber schriftlich, es stehe „einzig ein kleiner Auftrag seitens der Baupolizei an, einzelne, etwas abbröckelnde Teile der Fassade zu sanieren. Dies wird selbstverständlich erledigt.“
Nun sind die Probleme mit der Villa keineswegs neu und bei diesem Beispiel zeigt sich auch, wie wenig Macht die Behörden haben, um historische Bausubstanz effektiv zu schützen. Reformen in der Wiener Bauordnung und im Denkmalschutzgesetz sind überfällig.
Meinbezirk.at berichtete im Mai 2022:
Die Villa befindet sich im Besitz der Hallmann Holding (…) Über die Gründe für die Verzögerung der Sanierung gab man keine Auskunft, aber: Nach neuesten Angaben, beschäftige sich die Hallmann Holding derzeit mit der Planung einer umfangreichen Sanierung.
Sommer 2022: Reparaturen an der Fassade
Im Juli 2022 wurden einige Schäden an der Fassade ausgebessert. Grundlegende Renovierungsarbeiten dürften aber, soweit erkennbar, nicht erfolgt sein. Ob auch das Dach von der Baupolizei auf Schäden geprüft und infolgedessen repariert wurde, ist nicht bekannt. Ebenfalls unbekannt ist, ob nun sämtliche von den Behörden beanstandeten Schäden behoben worden sind.
Herbst 2022: Gebäude verkauft
Im Herbst 2022 wechselte die Liegenschaft den Besitzer. Sie ging von der Landstraßer Hauptstraße 140-142 Besitzgesellschaft (gehört zu Hallman Holding) an die Firma RSREO. Es handelt sich um eine Immobilienfirma mit Sitz in der Wiener Innenstadt. Das Unternehmen bietet exklusive Miet- und Eigentumswohnungen an.
2023: Revitatisierung kommt!
Im März 2023 wurden die Pläne für das Gebäude vorgestellt:
Kitty Reichman, Geschäftsführerin, Kunstsammlerin und Immobilienentwicklerin von RS Opportunities, stellt das Objekt während der Planungs‐ und Entwicklungsphase der Kunst zu Verfügung.
Das in seiner malerischen Erscheinung architektonisch ambitioniert gestaltete Bauensemble, bestehend aus Wohngebäude, Portiershaus sowie Garten mit Hofeinfriedung und historischer Kegelbahn, wird nun von Testor & Partner Architekten einer qualitätvollen Instandsetzung und modernen Interpretation unterzogen. Diese basiert auf umfangreichen restauratorischen Untersuchungen und in enger Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt. Insbesondere sollen sämtliche repräsentativen Räume modernen Ansprüchen gerecht werden. Das wiedergewonnene historische Erscheinungsbild wird nach Abschluss der Arbeiten erneut zum repräsentativen Blickfang in der Landstraßer Hauptstraße.
Im Jahr 2023 wird die Villa für ein Jahr als neuer Treffpunkt der Wiener Kunstszene zugänglich gemacht werden, mit außergewöhnlichen Ausstellungen, einem Literaturprogramm, Kunstveranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Modeschauen und vielem mehr (…)
Architekt Franz Neumann
Mit der Villa Mautner-Jäger hat der aktuelle Eigentümer ein ganz besonderes Haus erworben, das in Wien seinesgleichen sucht. Damit geht auch eine große Verantwortung einher. Ob die alte Villa dereinst in einem solchen Glanz erstrahlen wird wie Franz Neumanns andere Bauten?
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Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen und weitere Infos
- Treffpunkt der Künstler: Verschlafene Villa wird wach geküsst (Kurier, 2.4.2023)
- Denkmalgeschützte Villa Mautner-Jäger wird zum Kulturhotspot (meinbezirk.at, 30.3.2023)
- Termin-Aviso: Pressefrühstück „Villa Mautner – Jäger“ (Presseaussendung, 27.3.2023)
- Der Verfall der Villa Mautner-Jäger hat ein Ende (meinbezirk.at, 20.5.2022)
- Mautner-Villa: Baupolizei will Sanierung (ORF, 30.4.2022)
- Artikel im „Augustin“ von 2011
- Die Lebensdaten von Hertha Jäger sind der Seite der Wiener Friedhöfe entnommen, die von Gustav Jäger dem Eintrag auf geschichtewiki.wien.gv.at
- Die Zeichnungen bzw. Entwürfe von Anton Kling (1881-1963) für den Salon von Hertha Jäger sind auf der Webseite des Museums für Angewandte Kunst zu sehen
- Im Häuserkataster 1927-1929 wird Hertha Jäger als Alleineigentümerin der Liegenschaft in der Landstraßer Hauptstraße 140-142 angeführt (II. Band, S. 37)
- Infos und Zitat Franz Neumanns sind aus dem Architektenlexikon.
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