Die alten Häuser mit ihren kunstvollen Fassaden sind ein Markenzeichen Wiens. Was aber, wenn historischer Fassadenschmuck einfach abgeschlagen wird? Genau das ist 2021 im 15. Bezirk geschehen. Bei der Aufstockung eines Altbaus in der Schweglerstraße wurde auch gleich der alte Dekor entfernt. Mit Zustimmung der Behörden.
Baukultur und Altbau-Schutz sind Politik, Behörden und auch manchen Bauherren völlig gleichgültig. Es ist ein erschreckendes Zeichen unserer Zeit, der es wieder und wieder nicht gelingen will, dauerhaft Schönes zu erhalten und neu hervorzubringen.
Die Verblechung der Gründerzeit
Was im kalten Blechkleid daherkommt, könnte auf den ersten Blick ein typischer Neubau sein. Auffällig ist die Höhe. Offenbar bis zum letzten Zentimeter wird die von der Stadt Wien festgesetzte Bauklasse ausgenutzt. Aber das Gebäude war nicht immer so hoch wie heute. Es hat auch nicht immer so ausgesehen.
Der Umbau erfolgte von 2020-2021. Davor bot sich in der Schweglerstraße ein völlig anderes Bild. Denn vor dem Umbau war die historische Fassade noch erhalten, einschließlich Fensterumrahmungen und Gesims. Dem Dekor und der Höhe nach ist das Haus etwa im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erbaut worden.
Beim Umbau wurde der gesamte Fassadenschmuck abgeschlagen. Zusammen mit der drastischen Aufstockung ist vom Altbau quasi nichts mehr zu sehen:
Im Sommer 2018 war die ursprüngliche Fassade noch da:
Dreieinhalb Jahre später:
Hier der Zustand im Jahr 2018:
2022 ist vom Fassadenschmuck nichts mehr übrig. Der Übergang zum Nachbarhaus ist an Härte nicht zu überbieten:
Warum haben die Behörden das erlaubt?
Werden Gebäude um- und neu gebaut, sind unter anderem zwei Magistratsabteilungen involviert:
- Die Baupolizei (MA 37) kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften und genehmigt Baumaßnahmen. Sie gehört zum Wohnbauressort (Stadträtin Kathrin Gaál, SPÖ).
- Die Abteilung für Architektur und Stadtgestaltung (MA 19) genehmigt alle Entwürfe und Änderungen, die die äußere Gestalt von Gebäuden betreffen. Sie gehört zum Planungsressort (Stadträtin Ulli Sima, SPÖ; zum Zeitpunkt der Planungen in der Schweglerstraße 27 noch von den Grünen geleitet).
Diese beiden Abteilungen waren auch beim Umbau in der Schweglerstraße involviert. Doch die MA 19 hat der Entfernung der Fassade nicht zugestimmt.
Keine Genehmigung durch Architektur-Behörde
Eigentlich sollte die Fassade erhalten bleiben – zumindest am Beginn der Planungen. Die Baupolizei:
Für die gegenständliche Liegenschaft (…) wurde mit Bescheid vom 27. November 2018 (…) die Baubewilligung für die Aufstockung um zwei Vollgeschoße sowie ein zweigeschossiges Dachgeschoß erteilt. Zu diesem Zeitpunkt war die Erhaltung der bestehenden Fassade vom ersten und zweiten Obergeschoß des Gründerzeithauses Bestandteil des Projektes.
Weder am Anfang der Planungen noch später hat es von der MA 19 eine Zustimmung zur Entfernung der Fassade gegeben. Warum kam es trotzdem dazu? Das erklärt die Baupolizei so:
Im Zuge der am 4. September 2019 begonnenen Bauführung wurde festgestellt, dass große Teile der Fassade wie Gesimse-Zierelemente und deren Befestigungen durch eindringendes Regenwasser und andere Umwelteinflüsse irreparabel zerstört worden waren. Eine gutachterliche Stellungnahme über den Erhaltungszustand der Straßenfassade, erstellt von einem befugten Zivilingenieur für Bauwesen, wurde der Baubehörde diesbezüglich vorgelegt. Um eine Gefährdung von Passanten und Verkehrsteilnehmer*innen ausschließen zu können, wurden seitens der Bauführung die notwendigen Maßnahmen durch Abschlagen der Bestandsfassade getroffen und als Lösung vom Planer eine einheitliche Fassadengestaltung für die gesamte Straßenschauseite herbeigeführt.
(Apropos Gutachten: Die Wiener Behörden verlassen sich regelmäßig auf privat beauftragte und privat bezahlte Gutachten. Mittels solcher Gutachten lässt sich übrigens fast jedes erhaltenswerte Haus einfach abreißen.)
Demolieren statt renovieren
Auf der Basis eines privat beauftragten Gutachtens wurde gestattet, dass die Fassade demoliert wird. Ohne Rücksprache mit der für das Stadtbild zuständigen MA 19:
Mit Bescheid vom 29. September 2020 (…) wurde die Bewilligung für Abweichungen vom bewilligten Bauvorhaben (…) erteilt. Eine neuerliche Stellungnahme der MA 19 – Architektur und Stadtgestaltung ist zum Planwechselprojekt nicht eingeholt worden (…)
Wurde die MA 19 also einfach per Gutachten umgangen? Warum und auf welcher Basis trifft die Baupolizei alleine eine Entscheidung, die eindeutig das Stadtbild betrifft? Abgesehen davon hat es überhaupt den Anschein, als wollte der Eigentümer von vornherein die alte Fassade loswerden und eine durchgehende Blechfront errichten. Allzu groß dürfte der Widerstand der Behörden nicht gewesen sein.
Für das Abschlagen der Fassade bringt die Baupolizei eine geradezu hanebüchene Erklärung vor, die der gängigen Praxis in Wien völlig widerspricht: Bei stark reparaturbedürftigen Gebäudeteilen wird üblicherweise die Aufstellung eines Schutzgerüsts angeordnet. Ein solches Gerüst kann binnen kurzer Zeit aufgebaut werden. Dann können in aller Ruhe Bauarbeiten durchgeführt werden. Für nicht mehr reparable Teile lassen sich Replikate anfertigen. Das ist ein völlig normales Vorgehen bei Renovierungen. Sogar die Rekonstruktion ganzer Fassaden ist ohne weiteres möglich (siehe Beispiel in Wien-Josefstadt).
Eigentümer, die Fassaden abschlagen
Die Zerstörung von Fassaden hat in Wien Tradition, systematisch vor allem in den 1950ern und 1960ern. Es sind wohl tausende Häuser, die dadurch ihr ursprüngliches Äußeres eingebüßt haben. Aber auch in rezenter Zeit finden sich vergleichbare Beispiele (Favoritenstraße 129). In einem Fall wurde auch ein Kunstwerk zerstört (Landgutgasse 1). Glücklicherweise gibt es auch einen gegenläufigen Trend: Eigentümer, die durch Krieg und Umbauten beschädigte Häuser äußerlich wiederherstellen. Zum Beispiel am Gaudenzdorfer Gürtel und in der Neustiftgasse.
Aufstocken geht auch anders
Abgesehen vom entfernten Fassadendekor ist in der Schweglerstraße 27 noch ein Punkt auffällig: die Gebäudehöhe. Durch einen Bebauungsplan, der vergleichsweise hohe Neubauten erlaubt, haben Politik und Behörden alle älteren Gebäude unter Abriss-Druck gesetzt. Dass das Bauherren anzieht, die am Erhalt und verträglichen Weiterbau des Bestandes nicht unbedingt interessiert sind, verwundert nicht.
Unattraktive Dachausbauten und Aufstockungen von Bestandsbauten sind in Wien allgegenwärtig (bspw. am Wiedner Gürtel im 4. Bezirk und in der Greiseneckergasse 17-23 im 20. Bezirk). Im Vergleich zu Totalabrissen ist das aber fast schon eine harmlose Angelegenheit. Dabei ginge es auch anders: Per stilgerechtem Weiterbau. An die historische Fassade angepasste Gestaltung der neuen Geschoße. Entsprechende Vorgaben durch die Stadt Wien gibt es aber nicht.
Aufstockungen von Bestandsgebäuden hat es auch um 1900 gegeben. Sie sind heute fast nicht mehr zu erkennen, weil mit großer Rücksichtnahme weitergebaut wurde. Selbst prominente Gebäude erhielten nachträglich neue Stockwerke, etwa das Palais Czernin hinterm Rathaus (erbaut 1837/1839, aufgestockt ca. 1936).
Alles egal in der Architektur?
Auch unabhängig vom Verhalten der Behörden stimmt der Fall Schweglerstraße 27 nachdenklich. Denn warum geht ein Eigentümer so mit einem Haus um? Und selbst wenn die Demolierung der Altbaufassade außer Acht gelassen wird, fallen zwei Punkte auf: (1) Blech ist eher kein attraktiver Baustoff und (2) die Umgebung bleibt bei der Gestaltung völlig unberücksichtigt.
Gerade letzteres zeichnet weite Teile der Wiener Gegenwartsarchitektur aus: Entwerfen und Bauen mit haushohen Scheuklappen. Beliebigkeit bei Material, Farbwahl und Proportion. Bezugslosigkeit. Das Ergebnis: bestürzende Neubauten. Das Problem geht weit über einzelne Eigentümer hinaus. Der Mangel an Baukultur zieht sich quer durch: Stadtregierung, Behörden, Investoren, Bauträger und Architekten. In Wien wird oft erschreckend niedrige Qualität akzeptiert.
Das soll natürlich nicht heißen, dass alles immer schlecht ist. Es gibt auch sehr viele positive Beispiele und viele umsichtige Eigentümer und Bauträger. Viele Architekturbüros machen hervorragende Arbeit – können sich aber aufgrund der Auftraggeber nicht recht entfalten. Denn ein Gutteil der Bauträger will bloß möglichst billig und möglichst viel bauen – und die Stadtregierungen der letzten Jahrzehnte haben sie gewähren lassen. Das von der Politik geduldete bzw. indirekt noch geförderte Laissez-faire-Prinzip ist der Todesstoß für jede Baukultur. Die Bausünden akkumulieren sich und werden allmählich zum bestimmenden Faktor der hiesigen Gegenwartsarchitektur. Effektive Altstadterhaltung, präzise Gestaltungsvorschriften und ein unabhängiger Gestaltungsbeirat für Neubau-Architektur wären brauchbare Lösungen, die aber politisch nicht gewollt sind.
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Foto: Palais Czernin (2009): Erich Schmid, Palais Cernin Friedrich Schmidt Pl 4, CC BY-SA 3.0
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