Ein Biedermeierhaus feiert Renaissance

Für viele kleine Altbauten in Wien gibt es vor allem ein Schicksal: den Abriss. Dass es aber auch ganz anders und noch dazu viel schöner gehen kann, zeigt ein Beispiel aus Meidling. Ein Haus aus der späten Biedermeierzeit in der Karl-Löwe-Gasse wurde nicht nur grundlegend saniert. Es hat auch noch eine neue Fassade bekommen.

Der Sitz der Firma Robert Leitner Elektrotechnik ist ein Musterbeispiel für die Erhaltung von Altbauten. Es ist hoffen, dass sich viele Nachahmer finden, denn eine solche Sanierung ist gleich mehrfach ein Gewinn:

  • Im Gebäude vorhandene Ressourcen (Baustoffe) werden erhalten.
  • Geschichtlich relevante Architektur wird bewahrt und erneuert.
  • Ausverkauf von Liegenschaften an Investoren ohne langfristige Interessen wird verhindert.
  • Das Gebäude bleibt effektiv genutzt – als Betriebsstätte und als Wohnhaus.

Ganz unscheinbar präsentierte sich das Haus in der Karl-Löwe-Gasse 26 noch bis vor wenigen Jahren. Ein typisches Vorstadthaus, das höchstens durch seine geringere Höhe zwischen neueren Häusern auffiel. Solche Gebäude gibt es immer noch viele – aber sie werden rasant weniger. Wenn klar wird, welches Potenzial in diesen Häusern steckt, zeigt sich auch, wie hoch der Verlust durch Abbrüche eigentlich ist.

Die heutige Karl-Löwe-Gasse, unweit vom Bahnhof Meidling, hieß früher Neuwallgasse und lag im Ort Wilhelmsdorf, der 1890 zu Meidling kam. Bei dieser letzten großen Ausdehnung des Wiener Stadtgebiets wurden zahlreiche Vororte eingegliedert (die heutigen Bezirke 11 bis 19). Johannes Leitner berichtet über die Geschichte des Hauses:

Das Haus wurde im Jahre 1858 erbaut und war das erste in der Gasse, umgeben von Feldern. Bis zum Matzleinsdorferplatz waren nur Parkanlagen (…) Der Name der Neuwallgasse ist auf den ehemaligen Ritter von Neuwall zurückzuführen, welcher die Grundstücke in dieser Gegend einst besessen hat. Hier waren Ziegelteiche in der Umgebung. Der Erbauer des Hauses, Wilhelm Grünhold, hatte eine Nadlerei (Drahtzieherei) in dem Gebäude (…), ca. 1896 wurde aus dem Haus ein Fuhrwerkerhaus.

Wir haben das Haus in den letzten 13 Jahren von Grund auf saniert. Das Tor sowie die Fassade wurden genauso wiederhergestellt, wie sie einst nach dem 2. Weltkrieg waren.

Fassade rekonstruiert

Die alte Fassade des Gebäudes war nicht erhalten. Zurückzuführen war das auf eine Sanierung nach einem Bombenschaden im Zweiten Weltkrieg. Hier noch der Zustand von 2019:

Anschließend wurde die Fassade saniert:

Das äußere Erscheinungsbild hat sich um 2020 entscheidend verändert:

Bei der Sanierung wurde neuer Dekor angebracht.

Erdgeschoß nach alten Fotos wiederhergestellt

Vom Erdgeschoß haben sich noch historische Aufnahmen erhalten. Demnach war der Fassadenschmuck des 19. Jahrhunderts noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhalten. Das nächste Foto zeigt den Sohn des ehemaligen Hausbesitzers.

Meidling direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Welt hat sich seither gewaltig verändert. Doch das Haus steht immer noch – den alten und neuen Besitzern sei Dank.

Die Fassadensanierung im Erdgeschoß erfolgte anhand der alten Aufnahmen. Vom Obergeschoß ist aber kein altes Foto des ursprünglichen Zustands erhalten.

Die nächste Aufnahme zeigt die Abdeckung eines Kellerfensters – eigens für das Haus neu angefertigt nach einem historischen Muster:

Detailaufnahme eines Kellerfensters
Abdeckung eines Kellerfensters (Foto: 2022)

Ganzes Gebäude saniert

An der Rückseite des Hauses hatte der Zahn der Zeit sichtlich genagt. Wie später die straßenseitige Fassade, so wurde auch die Rückseite sorgfältig saniert:

Aus einem unscheinbaren Altbau wurde ein schönes und wohnliches Gebäude. Der Vergleich macht sicher:

Hofgebäude wiederhergerichtet

Wie bei vielen ehemals oder immer noch gewerblich genutzten Altbauten sind beim Haus in der Karl-Löwe-Gasse Hofgebäude erhalten. Sie wurden saniert und wieder nutzbar gemacht.

Aus einem verwilderten und teils verfallenen Innenhof wurde eine attraktive Grünoase. Als Bodenbelag fungieren alte Pflastersteine. Genutzt wird der Hof von der Firma und den Bewohnern des Hauses.

Auch das hübsche Ziegelgebäude ist wieder wie neu:

Neues Dach

Bei der Sanierung wurde auch das alte Dach neu gedeckt.

Verschwindende Vororte

Die einstigen Wiener Vororte – also die Bezirke außerhalb des Gürtels – sind im Wandel. Die steigenden Immobilienpreise und die wachsende Bevölkerung sind besonders in der Bebauung sichtbar: Abrisse, Neubauten, Sanierungen und Dachausbauten prägen zuvor lange „schlafende“ Gegenden. Investoren, die auf der Suche nach ganzen Häusern und Grundstücken sind, haben auch weniger bekannte Lagen längst entdeckt. Da sich im Neubau mehr Geschoße erzielen lassen – also mehr verwertbare Fläche -, haben es Altbauten besonders schwer.

Das ist freilich kein Naturgesetz, denn wie viel ein Grundstück wert ist, ist zu einem großen Teil eine politische Entscheidung: Politik und Behörden geben seit Jahrzehnten besonders die Bezirke außerhalb des Gürtels systematisch zu Abriss und „Spekulation“ frei. Fehlende Schutzzonen, viel zu hohe Bauklassen und fehlende Sanierungsförderungen für Eigentümer treiben einen mitunter destruktiven Wandel voran: Architektonisch katastrophale Neubauten ersetzen Altbauten. Niedrige Raumhöhen, billige Materialien, unattraktive Farben und abweisende Erdgeschoße sind eher die Regal als die Ausnahme.

Inmitten all der Veränderung hat eines Seltenheitswert: Die Rekonstruktion zuvor nicht erhaltener Fassaden. Wie schon bei einem Haus am Gaudenzdorfer Gürtel haben auch die Eigentümer des spätbiedermeierlichen Hauses in der Karl-Löwe-Gasse 26 hervorragende Arbeit geleistet. So wird klar, wie selbst unscheinbare Häuser ein hohes Potenzial für Sanierungen haben.

Wiener Häuser der 1850er-Jahre

1858 wurde das Haus in der Karl-Löwe-Gasse 26 errichtet. Wien stand damals am Beginn der Gründerzeit. In der Architektur setzte sich der Historismus durch, der Ende des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte, wie noch heute die Ringstraße unübertroffen vor Augen führt.

1858 war auch ein Jahr, in dem viel gebaut wurde. Kurz davor war mit der Schleifung der Basteien (Stadtmauern) begonnen worden, womit der Grund für den Bau der Ringstraße und ihrer Bebauung geebnet wurde. Das heutige Meidling war zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch eine Ansammlung von Vororten. Nur noch ganz wenige Reste sind bis heute aus dieser Zeit erhalten.

Biedermeierhaus in Meidling
Karl-Löwe-Gasse 26 nach der Fassadensanierung (Foto: 2022)

Der für das Haus in der Karl-Löwe-Gasse 26 neu angefertigte Fassadenschmuck kommt der Architektur jener Zeit durchaus nahe. Wie exakt, das lässt sich nicht sagen, denn die ehemaligen Vororte sind fotografisch nur mangelhaft dokumentiert.

Zum Vergleich hier einige Häuser, die ungefähr zu selben Zeit erbaut wurden:

Die hier als Beispiele angeführten Häuser lagen schon damals vergleichsweise nahe am Stadtzentrum. So lässt sich natürlich nur sehr bedingt auf Meidling schließen. Einige Gestaltungselemente ziehen sich aber durch:

  • Die Art der Fensterverdachung (waagrechter „Balken“ über den Fenstern)
  • Genutetes Erdgeschoß (angedeutete Spannquader, „Rillen“)
  • Gurtgesims (horizontal herausragendes Bauelement) zwischen den Geschoßen, vor allem zwischen Erdgeschoß und erstem Obergeschoß

Haben Sie alte Fotos vom Haus in der Karl-Löwe-Gasse 26? Wenn ja, dann schreiben Sie mir bitte! Die Besitzer (E-Mail-Adresse hier) würden sich sehr über alte Aufnahmen freuen.

Fotos, Infos

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, können Sie mich per E-Mail und Formular erreichen. WienSchauen hat auch einen Newsletter:

Nach der Anmeldung erhalten Sie ein Bestätigungsmail.