Jahrelanger Verfall: Behörden machtlos?

„Ein Biedermeier-Haus abzureißen, statt zu restaurieren, ist ein Verbrechen an der Stadt. Vielleicht gehört auch der Denkmalschutz renoviert.“ – Das schrieb Peter Michael Lingens bereits 2014 im Profil. Auch in der Zwischenzeit hat sich wenig getan. Immer noch steht das um 1800 erbaute Haus in der Breite Gasse 15 leer und verfällt. Und das seit 20 Jahren, direkt hinter dem Museumsquartier.

Dieser Artikel wurde seit 2018 mehrfach aktualisiert (zuletzt im Dezember 2023).

Biedermeierhaus Breite Gasse 15 in Wien mit Graffiti, Autos, Schienen, Neubau (7. Bezirk)
Verfällt seit Jahren: Breite Gasse 15 am Spittelberg in Wien-Neubau (Foto: 2019)

Eigentümer will Neubau

Der Eigentümer, ein Rechtsanwalt, erklärte, das Haus sei abbruchreif und er wolle stattdessen einen Neubau errichten. Dazu soll auch das Nachbarhaus auf Nr. 13 demoliert werden. Doch beide Häuser stehen in einer Schutzzone, daher ist ein Abbruch nicht ohne weiteres möglich. Schutzzonen werden von der Stadt Wien eingerichtet und sind unabhängig vom Denkmalschutz.

2014 stellten die Grünen in der Bezirksvertretung Neubau einen Antrag auf Unterschutzstellung durch das Denkmalamt, was im Gegensatz zur Schutzzone eine größere Sicherheit bringen würde. Der Antrag fand auch eine Mehrheit. Doch bis heute hat das Denkmalamt keine Unterschutzstellung eingeleitet – was es im Übrigen auch nicht muss: Ein politisches Gremium (in diesem Fall die Bezirksparteien) kann sich zwar wünschen, dass ein Haus unter Denkmalschutz gestellt wird, aber letztlich entscheidet das die Behörde. Die Mitarbeiter des Denkmalamts sind dabei an einen strengen rechtlichen Rahmen gebunden, können also bei weitem nicht alle erhaltenswerten Gebäude unter Schutz stellen. Auch fehlt es wohl am Personal.

Dass Denkmalschutz sehr wohl funktioniert, ist jedenfalls zwei Hausnummern weiter zu sehen: Das Barockhaus in der Breite Gasse 11 steht unter Denkmalschutz und präsentiert sich heute in tadellos renoviertem Zustand (Foto unten).

Häuserzeile in der Breite Gasse in Wien, Spittelberg, historische Gebäude
Breite Gasse im 7. Bezirk (Foto: 2019)

Baupolizei machtlos?

Darf ein Haus einfach dem Verfall ausgesetzt werden, wie es hier zumindest den Anschein hat? Zumindest laut Wiener Bauordnung gilt eine Erhaltungspflicht:

Der Eigentümer (…) hat dafür zu sorgen, dass die Bauwerke (…) in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden.

Wie verträgt sich das mit dem Zustand des Hauses in der Breite Gasse 15? Liegt nicht eine Verletzung der Bauordnung vor? Warum kann keine Ersatzvornahme durchgeführt werden, also eine durch das Magistrat angeordnete Sanierung?

Spittelberg: Häuser sollten alle abgerissen werden

steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneSeither steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneSeither steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbEinige Jahrzehnte ist es her, da stand die historisch einzigartige Bebauung am Spittelberg, zu dem auch die Breite Gasse gehört, auf Messers Schneide: In den 1970ern sollten sämtliche Häuser abgerissen und durch moderne Büro- und Wohnbauten ersetzt werden. Die heruntergekommenen alten Häuser galten als unsanierbar und nicht erhaltenswert.

Doch es kam anders: Widerstand in der Bevölkerung formierte sich. Die Stadt lenkte ein. Der Spittelberg wurde zum Vorzeigeprojekt der „sanften Stadterneuerung“. Heute blüht das Grätzl, nur nicht in der Breite Gasse.either steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneSeither steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneSeither steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-Abrissbirn

Das Haus in der Breite Gasse 15 ist integralen Bestandteil des historischen Spittelbergs – frühen und heute. Auf der nächsten Aufnahme ist das Haus um die Jahrhundertwende zu sehen. Von den Geschäften ist schon lange nichts mehr zu sehen.

Breite Gasse 15 um 1900 (Foto: August Stauda, Wien Museum, Inventarnummer HMW 24289)

2021: Eigentümer beantragt Abriss

Jahrelang war es ruhig um das Haus in der Breite Gasse 15. Das hat sich im Frühjahr 2021 geändert. Auf eine Anfrage hin erklärte die Baupolizei:

Vom Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft wurde ein Ansuchen um Erteilung einer Abbruchbewilligung bei der MA 37 – Baupolizei eingebracht.

Die Baupolizei fragt bei der MA 7 als Geschäftsstelle des Wiener Altstadterhaltungsfonds wegen Fördermitteln an, wenn sich aus einer Wirtschaftlichkeitsberechnung ein Deckungsfehlbetrag ergibt.

Steht ein Abriss des historisch bedeutenden Biedermeierhauses also unmittelbar bevor? (Ob es sich übrigens um denselben Eigentümer wie noch vor einigen Jahren handelt, oder ob das Haus indes den Besitzer gewechselt hat, ist nicht bekannt.)

2023: Dachfenster offen

Im März 2023 wurden WienSchauen Fotos übermittelt, die weit geöffnete Dachfenster zeigen. Das ist ein Warnsignal: Durch offene Fenster kann Regen ins Gebäude eindringen, wodurch binnen kurzer Zeit schwere Schäden entstehen. Die Baupolizei wurde umgehend informiert.

offene Dachfenster des Biedermeierhauses in der Breite Gasse 15 am Spittelberg, 1070 Wien
Breite Gasse 15: offenes Dachfenster im Mai 2023

Erst nach rund zwei Monaten waren die Fenster wieder geschlossen.

Mai 2023: Dachfenster wieder zu

Monate später war das Dachfenster wieder offen:

Breite Gasse 15 (Foto: 24.11.2023)

Und kurz darauf wieder geschlossen:

Häuser beim Spittelberg hinterm Museumsquartier, Dachfenster eines Biedermeierhauses hervorgehoben
Breite Gasse 15: Fenster wieder zu (Foto: 10.12.2023)

Bezirksvorsteher Markus Reiter (Grüne) antwortete im Dezember 2023 auf der Instagram-Seite von WienSchauen auf die Frage einer anderen Person:

Wir haben bereits bei der Bauinspektion Anzeige erstattet. Für das Gebäude ist jedoch der Eigentümer oder die Eigentümerin verantwortlich. Als Bezirk haben wir daher leider keine weitere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen: Bauordnung und Baupolizei sind Stadtkompetenz. Aus vielen Gründen ist der Erhalt unserer wunderschönen historischen Bausubstanz wichtig – auch aus städtebaulicher und ökologischer Sicht!

Kein Denkmalschutz

Jetzt rächt es sich, dass das Haus nicht unter Denkmalschutz steht. Nur der Denkmalschutz kann letztlich garantieren, dass ein Gebäude nicht quasi durch die Hintertür abgerissen wird. Doch daraus wird beim Haus in der Breite Gasse 15 wohl nichts, wie das Bundesdenkmalamt mitteilt:

Eine mehrfache Prüfung des Bestandes ergab, dass das Objekt nach Umbauten im späten 19. und 20. Jahrhundert sowie aufgrund der tiefgreifenden baulichen Veränderungen, vor allem im Bereich der beiden unteren Geschosse, keine ausreichenden denkmalkonstituierenden Eigenschaften mehr aufweist. Daher sind die für eine Unterschutzstellung notwendigen Kriterien des Denkmalschutzgesetzes hinsichtlich der historischen, künstlerischen oder sonstigen kulturellen Bedeutung nicht gegeben.

Das offenbart zwei große Baustellen im Denkmalschutz:

  1. Das Denkmalschutzgesetz ist so limitiert, dass die meisten Gebäude nicht geschützt werden können.
  2. Das Denkmalamt ist personell unterbesetzt. So müssen die meisten Gebäude ohne Denkmalschutz bleiben, selbst wenn sie an sich schutzwürdig sind.

Beides lässt sich korrigieren. Zuständig ist die Bundesregierung, denn im Gegensatz zu Ensembleschutz (Schutzzonen) ist Denkmalschutz ist eine Bundesangelegenheit.

Abbruchverfahren: intransparent und ohne unabhängige Kontrolle

Solange kein Denkmalschutz gilt, steht einzig die von der Stadt Wien festgelegte Schutzzone zwischen Erhalt und Abriss. Doch auch Häuser in Schutzzonen können abgerissen werden – und das sogar verhältnismäßig einfach. Es muss bloß nachgewiesen werden, dass die Sanierung teurer kommt als ein Neubau. Dieser Nachweis ist per privat beauftragtem (und privat bezahlten) Gutachten möglich. Einsicht in das Verfahren haben nur die Behörden. Unabhängige Stellen, NGOs und dergleichen bleiben außen vor.

Dieser Umstand hat dazu geführt, dass nicht wenige schutzwürdige Häuser in den letzten Jahren und Jahrzehnten demoliert werden durften. Beispiele: Bauernmarkt 21 (1. Bezirk), Krieglergasse 12 (3. Bezirk), Hernalser Hauptstraße 59-61 (17. Bezirk), Leopoldauer Platz 9 und 11 (21. Bezirk) und Redtenbachergasse 4 (16. Bezirk). Eine kleine Auswahl von Abrissen in Schutzzonen:

Wenig Geld für die Altstadterhaltung

steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneSeither steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneSeither steht das Spittelbergerviertel als Symbol für die Erhaltung historischer Bausubstanz – derstandard.at/2051945/Spittelberg-Umgestaltung-statt-AbrissbirneMit knapp über 2 Mio. Euro pro Jahr fördert die Stadt Wien die Sanierung historischer Gebäude. Angesichts der tausenden Häuser, die alleine in den zahlreichen Schutzzonen stehen, fragt sich, wie ein solcher Betrag auch nur ansatzweise ausreichen kann.

Gerade alte Häuser in schlechtem Zustand lassen sich ohne Förderung oft nur schwerlich sanieren. Aus diesem Grund hat sich eine Initiative gebildet, die unter anderem eine Aufstockung des Altstadterhaltungsfonds fordert. Die Plattform Stadtbilderhaltung:

Die Stadt Wien ist vor rund 150 Jahren unter Kaiser Franz Joseph von 500.000 Einwohnern auf knapp 2 Millionen Einwohner gewachsen und hat sich damals zur weltweit fünftgrößten Stadt entwickelt. Aus dieser Zeitepoche stammt der riesige Bestand der heute immer noch vorhandenen 15.000 Wiener Gründerzeithäuser. Neben der eindrucksvollen Ringstraße entstanden tausende stilvolle Bauten mit herrlicher Fassadengestaltung.

Historisch einmalige Gebäude in großer Zahl prägen das Wiener Stadtbild ganz entscheidend. Für die Bevölkerung und Millionen Touristen ist Wien daher etwas ganz Besonderes. Diese alten Bauwerke sind leider in die Jahre gekommen und würden dringend einen Aufschwung benötigen.

Wie kritische Journalisten, Denkmalschützer, Eigentümer und Bürgerinitiativen beklagen, verfallen augenscheinlich viele Gründerzeithäuser oder sie werden in großer Zahl abgerissen und durch profitorientierte Bauten ersetzt. Das vertraute Stadtbild geht somit Zug um Zug verloren (…)

Wenn schlechte wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen zu Abriss und Verfallserscheinungen im Bestand der erhaltungswürdigen Altbauten führen, sollte ein Weckruf gestattet sein. Die Verantwortlichen dürfen spüren, dass uns allen die Stadtbilderhaltung wichtig ist.

Ein Teil der Lösung könnte die Zweckwidmung der Ortstaxe sein. Ist es nicht gerade im Sinne von Touristen und Tourismuswirtschaft, wenn die einzigartigen Wiener Altbauten erhalten bleiben und nicht nach und nach der Spitzhacke zum Opfer fallen?

Kontakte zu Stadt & Politik

www.wien.gv.at
post@bv07.wien.gv.at
+43 1 4000 07114

Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im Jänner 2021.)
+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im Jänner 2021.)

Quellen und weitere Infos

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