Das Ende einer Wiener Mauer

Vor Kurzem wurde eine historische Mauer in Wien abgerissen. Ein Unternehmen der (staatlichen) Bundesimmobiliengesellschaft errichtet hier ein neues Wohnhaus. Doch anstatt Teile der Mauer in den Neubau zu integrieren, erinnert in der Landstraßer Hauptstraße jetzt nichts mehr an die alte k.u.k.-Kaserne, zu der die Mauer einst gehörte. Selbst die Bezirksvorstehung sprach sich für den Abriss aus.

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Historische Mauer in der Landstraßer Hauptstraße 148A (November 2019)

Mauer aus der Kaiserzeit

Zwischen Rennweg und Landstraßer Hauptstraße befand sich lange Zeit eine große Kaserne. Die sogenannte Rennweg-Kaserne umfasste zahlreiche Gebäude aus unterschiedlicher Zeit, darunter die aus dem 18. Jahrhundert stammende Waisenhauskirche. Nach Auszug des Waisenhauses wurden die barocken Gebäude für militärische Zwecke adaptiert. Im 19. Jahrhundert entstand u.a. eine Reithalle nach Plänen der Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, die auch die Wiener Staatsoper entwarfen. Aus dieser Zeit dürfte auch die nun abgerissene Mauer stammen.

Einige Kasernengebäude sind bis heute erhalten, werden aber schon lange nicht mehr militärisch genutzt. Zu den bekanntesten Bauwerken gehörten jene beiden Gebäude, in denen heute das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) untergebracht ist, das in den letzten Jahren mehrfach in den Schlagzeilen präsent war (Foto unten links). Die im Stil des Historismus ausgeführten Gebäude wurden etwa um 1880 erbaut.

Politik: Mehrheit gegen Mauer

Seit 2014 ist bekannt, dass das Grundstück, auf dem die Mauer steht, bebaut werden soll. Ein großes Wohnhaus wird künftig die große Kreuzung prägen und unmittelbar an das Bundesamt angrenzen. Dabei verwundert es, dass keine Sicherheitsbedenken geäußert wurden, rückt das neue Wohnhaus immerhin bis auf 10 Meter an die Verfassungsschutzbehörde heran.

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Abriss der historischen Mauer im November 2019, dahinter das BVT

Keiner der beim Architekturwettbewerb eingereichten Entwürfe sah einen Erhalt der Mauer vor, auch nicht das Gewinnerprojekt. In Vorbereitung auf den Neubau wurde 2017 der Bebauungsplan geändert, womit die Möglichkeit bestanden hätte, zumindest einen teilweisen Erhalt der Mauer verbindlich festzulegen. Doch die Parteien im 3. Bezirk entschieden anders: Nur ÖVP und Grüne sprachen sich für Erhalt und Integration der Mauer in den Neubau aus. Eine Mehrheit aus SPÖ (die den Bezirksvorsteher stellt), FPÖ, NEOS und Wien Anders stimmte für den Abriss.

Dass der Antrag zum Erhalt der Mauer von der Landstraßer ÖVP kam, erstaunt, denn bei anderen Gelegenheiten stimmten die türkisen Bezirksräte gegen einen besseren Abriss-Schutz für historische Gebäude: So sprachen sie sich etwa gegen Schutzzonen für Altbauten im Fasanviertel und in der Radetzkystraße aus. Im Fall des seit Jahren gefährdeten Gründerzeithauses in der Hetzgasse 8 forderten sie gar den Abriss.

Staatliches Unternehmen lässt Mauer abreißen

Einige Brisanz bekommt der Abriss dadurch, dass es sich bei dem Eigentümer nicht um eine herkömmliche Immobilien-Firma handelt, sondern um ein Unternehmen im Staatsbesitz. Die ARE Development, eine Tochterfirma der ARE (Austrian Real Estate) gehört zur Gänze der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), die wiederum im hundertprozentigen Eigentum der Republik Österreich steht.

Keine Antwort auf Anfragen

Dreimal hat sich der Verfasser dieser Zeilen an den Eigentümer ARE gewandt, einmal sogar direkt an den damaligen Geschäftsführer. Bis heute ist keine Antwort gekommen. Offenbar war der Abriss der Mauer von Vornherein einkalkuliert.

Kompromiss wäre möglich gewesen

Einer alten Mauer kommt bestimmt nicht dieselbe Bedeutung zu wie einem historischen Gebäude. Und doch kann auch eine Mauer schützenswert sein, nämlich dann, wenn sie in einem historischen Zusammenhang mit der Umgebung steht. Zahlreiche Mauern stehen sogar unter Denkmalschutz, z.B. die Mauern des Schönbornparks und des Tiergarten Schönbrunns.

Zumindest ein teilweiser Erhalt wäre möglich gewesen, etwa durch die Integration der Mauer in den Neubau. Damit hätte das neue Wohnhaus im Erdgeschoß, in das wohl ein Supermarkt einziehen wird, eine besondere Fassade bekommen. Alt und Neu hätten sich ohne Weiteres verbinden lassen. Doch weder Eigentümer noch Bezirksvorstehung haben sich dafür interessiert. Jetzt ist die Mauer abgerissen.

abgerissene historische Mauer in Wien vor einer Kreuzung
Dezember 2019: Mauer zur Gänze demoliert

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen und weitere Infos

  • Der Verfasser von wienschauen.at hat sich am 16. und 27.11.2017 an den Eigentümer ARE und am 7.2.2018 an den damaligen Geschäftsführer der ARE Development gewandt. In keinem Fall folgte eine Antwort.
  • Zum Architekturwettbewerb für den Neubau siehe architekturwettbewerb.at
  • Der Antrag zum Erhalt der Mauer wurde am 21.9.2017 von der ÖVP eingebracht (Presseaussendung) und von den Grünen unterstützt – zu wenig für eine Mehrheit.
  • Die Landstraßer ÖVP stimmte zusammen mit den NEOS am 2.3.2017 gegen den Antrag von SPÖ und Grünen für eine Schutzzone im Fasanviertel, dem auch FPÖ und Wien Anders zustimmten.
  • In gleich drei Presseaussendungen forderte die ÖVP den Abbruch des Gründerzeithauses Hetzgasse 8 (1.3.201712.5.201714.11.2017).
  • Dem von den Grünen eingebrachten und auch von SPÖ, FPÖ und Wien Anders unterstützten Antrag für eine neue Schutzzone in der Radetzkystraße verweigerte die ÖVP zusammen mit den NEOS am 20.9.2018 die Zustimmung.

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