Der Wiener Westbahnhof steht in einem Bezirk der Extreme: Rudolfsheim-Fünfhaus ist einer der am dichtest bebauten Bezirke Wiens. Ein Bezirk, in dem wenig öffentliche Grünflächen auf eine hohe Bevölkerungsdichte treffen. Ein Bezirk, dessen Bevölkerung vergleichsweise arm ist und in dem besonders viele junge Menschen wohnen. Dass im Fünfzehnten um jede öffentliche Fläche gerungen wird, ist nicht verwunderlich. Öffentliche Flächen sind auch nicht beliebig vermehrbar und einmal bebaut, sind sie weg.

Als ich mich erstmals näher mit dem öffentlichen Raum im 15. Bezirk befasste, ging es gerade um den Bau des neuen IKEA. Hervor stach, wie achtlos die Stadt über Jahrzehnte hinweg mit den Straßen und Plätzen hinter dem Westbahnhof umgegangen war. Viel mehr als grauer Asphalt und Parkplätze war da nicht. In zuvor unerwartetem Tempo liefen dann Umgestaltung und Begrünung. Die Politik hatte auf die Forderungen von Bürgerinnen und Bürgern reagiert. Der Platz hinter dem Ikea und angrenzende Straßen wurden umgebaut, vor einigen Wochen kündigten Bezirksvorsteher Dietmar Baurecht und Stadträtin Ulli Sima (beide SPÖ) die Umgestaltung der äußeren Mariahilfer Straße an.

Also alles gut in 1150? Keineswegs, denn im Vergleich zu dem, was sich an der Nordseite der Westbahngleise tut, waren die bisherigen Umgestaltungen bloße Kleinigkeiten. Auf der Fläche zwischen den Bahngleisen und der parallel verlaufenden Felberstraße geht es nicht um ein paar neue Sträucher, sondern um ein mehr als 1,2 Kilometer langes Areal. Derzeit noch geprägt durch Betriebsgebäude und Asphaltflächen, könnte hier einmal ein großer neuer Park entstehen.

 Westbahngelände
Hinter dem Westbahnhof dominieren Bahngleise. Für den Streifen links wünscht sich eine zivilgesellschaftliche Initiative einen Park.
Foto: Georg Scherer

Bürgerinitiative fordert großen Park

"Einen Park für alle" und eine "grüne Länge statt dichter Enge" wünscht sich die Initiative Westbahnpark, die seit Jahren mit zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen medienwirksam auf ihr Anliegen aufmerksam macht. Der Westbahnpark soll "ein internationales Leuchtturmprojekt für die umwelt- und sozialgerechte Stadt werden." Sieben Hektar Asphaltfläche könnten entsiegelt werden. Über 10.000 Stimmen hat die auch von zahlreichen Expertinnen und Experten unterstützte Initiative für einen neuen Park zusammengetragen.

Das müsste Eindruck auf die Stadt machen – oder nicht? Dass auch noch so viele Unterschriften nicht notwendigerweise dabei helfen, ein Anliegen durchzubringen, musste schon die Initiative "Platz für Wien" erfahren. Angetreten als zivilgesellschaftliche Bewegung für die Verbesserung von Fuß- und Radverkehr und für eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums, reichten selbst über 57.000 Unterschriften auf der offiziellen Beteiligungsplattform der Stadt nicht aus.

Im Falle des Areals am Westbahnhof fand 2022 ein von der Stadt Wien initiierter Partizipationsprozess statt. Wenig überraschend äußerten die Befragten vor allem Wünsche nach mehr Grün- und Freiräumen, nicht aber nach Bebauung. Rein formal sind damit die Vorgaben des stadteigenen "Masterplans Partizipation" erfüllt. Wesentliche Auswirkungen muss das nicht haben, denn bei Partizipation geht es in Wien meist nicht um echte Mitbestimmung.

Westbahngelände
Könnte auf dem 1,2 Kilometer langen Streifen zwischen Westbahngleisen und Felberstraße ein Park entstehen?
Foto: Benedikt Safer

Abkühlung für die Stadt

Es ist längst bekannt, wohin die Reise gehen muss. In der "Smart Klima City Strategie" fordert die Stadt von sich selbst, in der Planung "Frisch- und Kaltluftschneisen zu berücksichtigen, Frei- und Grünräume in hoher Qualität zu schaffen und zu vernetzen. Neue Bauvorhaben sollen keine zusätzlichen Hitzeinseln produzieren, sondern im besten Fall sogar Verbesserung für das Stadtklima bringen."

Das Westbahnareal ist eine dieser Kaltluftschneisen, die vom Wienerwald kommend bis in die Bezirke Mariahilf und Neubau läuft und für nächtliche Abkühlung sorgt. Die ist auch dringend nötig, denn im Vergleich zur Nachkriegszeit hat sich die Anzahl der Hitzetage drastisch erhöht. Prognosen gehen für Wien im europäischen Vergleich von einer überdurchschnittlich starken Erwärmung aus. Die Kaltluftschneise an der Westbahn fungiert quasi als kostenlose Klimaanlage. Mit mehr Entsiegelung ließe sich der abkühlende Effekt noch verstärken, hingegen könnte eine Verbauung das Gegenteil bewirken. Es würde sommers noch heißer.

Grafik der Kaltluftschneisen
Nächtliche Kaltluft in Wien.
Grafik: Stadt Wien

Verbauung schon fix?

Dass es langfristige Pläne gibt, das Areal zumindest teilweise zu bebauen, ist kein Geheimnis. Auf einem Plakat bei der Ausstellung am Nordwestbahnhof ist von 800 bis 900 Wohnungen für das Areal beim Westbahnhof zu lesen. Wohnen zwischen Bahngleisen und Straße? Auf der Webseite der ÖBB heißt es: "2022 startete die Stadt Wien mit der Erarbeitung eines Stadtteilentwicklungskonzepts rund um den Westbahnhof, ein wichtiger Teil dieses Konzepts ist die Felberstraße, die nun von ÖBB gemeinsam mit der Stadt Wien entwickelt wird." Anfang 2023 antwortete Planungsstadträtin Ulli Sima auf eine Anfrage im Gemeinderat: "Das Verhältnis von Grünraum und bebauter Fläche wird voraussichtlich im Zuge der Erstellung des SEKs (Stadtteilentwicklungskonzepts) definiert. Ob beziehungsweise in welcher Form eine Bebauung auf dem Westbahnareal stattfinden kann und soll, ist noch nicht absehbar."

Wie weit sind die Pläne tatsächlich gediehen? Vielleicht schon ziemlich weit, denn im Dezember war bereits ein Pressetermin angesetzt. Der wurde zwar kurzerhand wieder abgesagt, dennoch wird erwartet, dass Sima in Kürze ein Ergebnis präsentieren wird. In nicht öffentlichen Unterlagen werden mehrere Bebauungsvarianten durchgespielt. Eine der Varianten sieht einen durchgehenden großen Park vor, hervorgehoben wird dabei die positive Wirkung auf die Kaltluftschneise. Doch diese Variante scheint nicht weiter bearbeitet worden zu sein.

Favorisiert wird stattdessen offenbar ein Szenario, demzufolge die Fläche zwischen Felberstraße und den Bahngleisen teilweise bebaut wird. Hinter dem Westbahnhof an der Felberstraße und anderswo könnten Hochhäuser errichtet werden. Bei der Schmelzbrücke dürfte eine großvolumige Bebauung vorgesehen sein, darunter Parkgaragen. "Terrassen" und neue Brücken wären an mehreren Stellen vorgesehen, auch im Süden der Gleise würde an einer Stelle hoch gebaut. Zu erwarten sind Überplattungen, die wohl zumindest optisch die verbauten Flächen kompensieren sollen. Wer allerdings die Qualität von Überplattungen in Wien kennt – Stichwort Donau City – darf sich auf Einiges gefasst machen. Sind diese Pläne tatsächlich noch aktuell, ist an einen durchgängigen Park nicht mehr zu denken. An eine komplette Verbauung aber auch nicht.

Westbahngelände
Um die Schmelzbrücke könnten hohe Neubauten entstehen.
Foto: Peter Schneider

Bezirksvorstehung duckt sich weg

Das Rätselraten an dieser Stelle ist der Kommunikation der Stadt geschuldet, an der auch die Initiative Westbahnpark Kritik übt: "Ulli Sima kündigt der Presse die Bekanntmachung der Pläne an – der "beteiligten" Bevölkerung wurde seit einem Jahr nichts zur Diskussion vorgelegt. Seit der Abfrage von Wünschen hat sie nichts mehr von der Stadt gehört, sie wird gänzlich übergangen.“ Dass Informationen spärlich fließen, kann natürlich mehrere Gründe haben: noch laufende Verhandlungen zwischen Stadt Wien und Eigentümer ÖBB, Gespräche innerhalb der Koalition und natürlich die Sorge, Widerstand in der Bevölkerung erst so richtig anzufachen.

Im Juni 2023 beantragten die Grünen im 15. Bezirk eine Infoveranstaltung zum Stadtentwicklungskonzept. Die den Bezirksvorsteher stellende SPÖ parkte den Antrag mit Zustimmung anderer Parteien in einer Kommission, im Dezember wurde er dann mehrheitlich abgelehnt. Also keine Infos. Ein weiteres Mal versuchten es die Grünen mit einer Resolution gegen die Bebauung des Westbahngeländes. Der Antrag wurde ebenfalls in einen Ausschuss geschickt. Das ist ungewöhnlich, denn Resolutionsanträge sind bloße Willensbekundungen des Bezirks, die ohnehin meist folgenlos bleiben. Wieder keine Infos.

Ein Bezirk im Immo-Fokus

Dass es Bestrebungen gibt, hinter dem Westbahnhof neu zu bauen, kommt nicht unerwartet. Rudolfsheim-Fünfhaus hat sein Schmuddel-Image abgeschüttelt, die Probleme mit der Straßenprostitution gehören längst der Vergangenheit an. Heute ist der Bezirk durch seine Lage zwischen Westbahnhof und Schönbrunn zu einem beliebten Wohnbezirk geworden. Investoren und Bauträger haben das erkannt, die bauliche Transformation läuft rasant. Nicht immer geht es dabei nachhaltig zu.

Abrisse in der Mariahilfer Straße und am Gürtel, Abschlagen von historischem Fassadendekor in der Schweglerstraße und zahlreiche gefährdete Gründerzeithäuser sind Zeugnisse davon. Unklar erscheint etwa die Zukunft zweier Altbauten am Gürtel und eines historischen Kinos in der Mariahilfer Straße. Das verweist nicht nur auf den hohen Druck am Immobilienmarkt, sondern auch auf die veralteten Bebauungspläne, die Abbrüche bisweilen sogar fördern.

An den Flanken des Westbahnhofs wird manifest, wie Immobilienentwicklung im großen Maßstab aussehen kann, wenn Faktoren wie Stadtbild, Vielfalt und Kleinteiligkeit außer Acht gelassen werden. Seit dem Bau der "Bahnhofcity Wien West" ist die denkmalgeschützte Bahnhofshalle von zwei massigen Neubauten eingeklemmt, die teils mit Wellblech-Fassaden ausgeführt sind. Hier stand wohl einzig die Maximierung von Flächen im Vordergrund, aber weder Ästhetik noch eine Aufwertung des Umfelds. Das kann als Warnung für die Zukunft des Areals an der Felberstraße verstanden werden.

Westbahnhof
Die Zubauten zum Westbahnhof wurden 2011 fertiggestellt und eröffnet.
Foto: Georg Scherer

Wer kümmert sich ums Gemeinwohl?

In einer Großstadt treffen unterschiedliche Interessen und Notwendigkeiten aufeinander. Wünsche nach mehr Radwegen oder mehr Parkplätzen, Forderungen nach mehr Bäumen und mehr leistbarem Wohnraum. Auch Kaltluftschneisen und attraktive öffentliche Räume gehören dazu. Nicht alles lässt sich – selbst wenn gewollt – unter einen Hut bringen. Beim Areal hinter dem Westbahnhof erschwert die Eigentumssituation die Entwicklung. Die Fläche, auf der sich die Initiative den Westbahnpark wünscht, steht im Eigentum der ÖBB.

Um einen Park zu errichten, müsste die Stadt die Fläche wohl kaufen und die zusätzlichen Brücken, die über die Westbahn führen sollen, selbst finanzieren. Kurzfristig vielleicht teurer, aber langfristig sicher die sinnvollste Option. Das wäre auch eine willkommene Abkehr vom bisherigen Vorgehen: Werden in Wien ehemaligen Eisenbahnflächen entwickelt, kommt am Ende meist ein Plan heraus, der in Richtung großvolumige Bebauung mit mehr oder minder großen Grünflächen geht. Das Bauen steht definitiv im Vordergrund. Das Areal hinterm Westbahnhof ist aber anders als etwa das Sonnwendviertel oder der Nordbahnhof: Ein schmaler Streifen, eine steile Böschung und ein Bezirk, der weitere Bebauung eigentlich nicht mehr recht verträgt. Hier braucht es eine andere Lösung.

Bei dieser Diskussion wird auch deutlich, dass in Wien etwas fehlt. Neben einer Reform von Partizipation auch ein unabhängiges planerisches Gremium. Ein Gremium mit von der Stadt wirtschaftlich und politisch unabhängigen Expertinnen und Experten von außerhalb Wiens, die über größere Veränderungen in der Stadtentwicklung beraten und im Fall des Falles auch als Gegengewicht zur regierenden Politik auftreten können. Das wäre wichtig, um sich Peinlichkeiten wie die Widmung eines Hochhauses mit Luxuswohnungen am Heumarkt und stadtbildliche Katastrophen wie Wien Mitte künftig zu ersparen.

Ein solcher Beirat hätte auch eine Instanz bei der Frage eines Westbahnparks sein können. Um Transparenz einzufordern und um Lösungen zu finden, die langfristig den besten Nutzen für so viele Menschen wie möglich bringen. Denn einmal verbaut – und es ist zu spät. (Georg Scherer, 24.1.2024)