Wer vom Hauptbahnhof aus in die Laxenburger Straße kommt, wird eines nicht sehen: die Gösserhalle. Wo noch 2019 Veranstaltungen der Wiener Festwochen das Publikum anlockten, ragen seit kurzem nur noch drei karge Mauern empor. Der 1902 errichtete Industriebau ist zur backsteinernen Kulisse geworden, in die bald ein Bürohaus samt Gastronomie hineingebaut wird. Kunst und Kultur – oder eine Markthalle – wird es hier in Zukunft nicht geben, denn eine eigentliche Halle ist nach dem Totalumbau nicht mehr vorhanden.

Die alte Gösserhalle im 10. Bezirk wurde bis auf die Außenmauern abgerissen.
Foto: Georg Scherer

Potemkinsche Halle

Das Ende der Gösserhalle kam nicht überraschend. Schon 2020 wurde der Grundstein für das Neue Landgut, wie das Stadtentwicklungsgebiet um die Halle genannt wird, gelegt. In das Zentrum des Areals kommt ein Park, rundherum Wohnhäuser mit größtenteils geförderten Wohnungen. Die Schwächen der auf den ersten Blick vielversprechenden Pläne liegen im Detail: Auf eine Schutzzone für die historischen Hallen wurde verzichtet. Belebte Erdgeschoßzonen mit Platz für Geschäfte und Lokale sind nicht ausreichend vorhanden. Auch eine hochwertige äußere Gestaltung der neuen Wohnbauten und eine abwechslungsreiche und kleinteilige Bebauung waren kein Thema.

Ausgearbeitet wurde dieser Plan unter Stadträtin Birgit Hebein (Grüne). Bedeutenden Einfluss dürfte auch die SPÖ gehabt haben, die in Favoriten den Bezirksvorsteher stellt. Auch der Eigentümer, die ÖBB, hat wohl kräftig mitgemischt. In jedem Fall hat der Plan die Zustimmung aller Parteien im Gemeinderat gefunden. Damit wurde der radikale Umbau der Gösserhalle besiegelt. Bilder wie das folgende sind also Geschichte:

2019 gastierten die Wiener Festwochen in der Gösserhalle.
Foto: Georg Scherer

Dass die Gösserhalle und die noch ältere Inventarhalle überhaupt noch teilweise erhalten sind, ist alles andere als selbstverständlich. Ursprünglich hätten sie abgerissen werden sollen, wie auch etliche andere Gebäude am Neuen Landgut. Wollte Wien nicht alte Häuser besser vor Abbrüchen schützen?

2020 wurde in der Laxenburger Straße ein Bahngebäude aus dem Jahr 1910 demoliert.
Foto: Georg Scherer

In gewisser Weise ist die Stadt fein raus: Die meisten Bestandsgebäude sind weg, die Reste der Gösserhalle stehen in Privatbesitz. Während die Stadtregierung in St. Marx hunderte Millionen Euro für eine riesige Eventhalle ausgeben will, blieb für den Erhalt – und eventuell Ankauf – der Gösserhalle nichts übrig. Oder ist man über ihr Ende vielleicht gar nicht so unglücklich? Lieber ein Bürohaus statt des Lärms einer Markt- oder Veranstaltungshalle? Zumindest in anderer Hinsicht darf es am Neuen Landgut aber lauter werden: Die schon jetzt verkehrsbelastete Laxenburger Straße wird noch eine Fahrspur breiter.

Hallenbau im Jugendstilzentrum

Während die Gösserhalle von Kultur und Dach befreit wurde, wälzt die Regierung Pläne für eine Markthalle beim Naschmarkt. Entstehen soll sie auf einer großen Asphaltfläche, die aktuell noch als Flohmarkt und Parkplatz genutzt wird. Schon 2014 hatten die Mariahilfer Grünen hier einen Park gefordert. 2018 sah der grüne Gemeinderat Rüdiger Maresch sogar eine Markthalle als Option. Drei Jahre später tritt nun Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) für die Halle ein – und die aus der Regierung geflogenen Grünen wollen einen Park.

Viel Asphalt am Naschmarkt – und bald auch eine Markthalle?
Foto: Georg Scherer

"Ich wollte immer eine Halle haben", sagte Sima, als gerade ein Bürgerbeteiligungsverfahren lief. Doch eine Abstimmung für oder gegen eine Halle war dabei gar nicht möglich. Das kritisiert die Bürgerinitiative Freiraum Naschmarkt, die sich neue Grünflächen statt einer Halle wünscht. Wie groß die Unzufriedenheit mit den Plänen der Stadtregierung ist, führt eine Petition der Grünen vor Augen, die binnen kurzer Zeit über 20.000 Unterschriften erhielt.

Die Bürgerinitiative Freiraum Naschmarkt ist gegen eine Markthalle und für umfassende Begrünung.
Foto: Georg Scherer

Auch Sima möchte den Parkplatz durch Grünflächen ersetzen – aber in Kombination mit einer Halle. Ein Park, wie ihn die Grünen fordern, ist laut Regierung aber nicht möglich. Unterhalb verläuft der Wienfluss, und die Überplattung könne große Bäume nicht tragen. Unabhängige Studien, die das belegen, liegen nicht vor.

Könnte hier ein neuer Park entstehen?
Foto: Georg Scherer

Markthalle neben Markt?

Wien ist keine Stadt der vielen Märkte. In manchen Bezirken fehlen sie fast völlig. So ist es auch wenig verständlich, dass die Regierung ausgerechnet neben einem etablierten Markt eine Halle bauen will. Wäre es nicht vordringlicher, überall dort neue Märkte und Markthallen zu eröffnen, wo es noch keine gibt? Zum Beispiel in der Seestadt Aspern, am Nordbahnhof-Gelände oder im Sonnwendviertel und beim Hauptbahnhof?

Der Hallenbau beim Naschmarkt ist jedenfalls aus mehreren Blickwinkeln problematisch:

  • Die jetzige Asphaltfläche ist ein Hitzepol. Rundherum fehlt es an Grünflächen, während die Klimaerwärmung nicht haltmacht. Warum also die freie Fläche verbauen?
  • Die angrenzenden Bezirke sind extrem dicht bebaut, die öffentlichen Räume geprägt durch Fahrbahnen und Parkplätze. Parks und schöne Freiflächen, die auch ohne Konsumzwang nutzbar sind, fehlen.
  • Der traditionsreiche Flohmarkt könnte durch die Halle verdrängt werden.
  • Auf dem Gelände des Naschmarkts ist ohnehin noch Platz für neue Marktstände.
  • In unmittelbarer Nähe der geplanten Halle stehen die weltberühmten Wienzeilenhäuser von Otto Wagner und weitere historische Gebäude. Ein hochsensibles Ensemble, das keine groben Eingriffe verträgt.
Am Naschmarkt stehen die 1899 erbauten Wienzeilenhäuser von Otto Wagner.
Foto: Georg Scherer

Die ungeliebten Wiener Hallen

Mit Märkten, Hallen und Markthallen haben es die Wiener Stadtregierungen seit jeher nicht so. Die längste Zeit galt für sie vor allem ein Schicksal: Abriss. Die Markthalle in Wien-Mitte wurde 2012 ersatzlos gestrichen, nachdem schon ihre Vorgänger in den 1970ern demoliert worden waren. Längst Geschichte sind die schmucke Zedlitzhalle im 1. Bezirk (Abriss 1965 zugunsten eines Umspannwerks) und die Halle am Phorusplatz im 5. Bezirk, die 1979 unter heftigem Protest abgerissen wurde. Auch für die Nordbahnhalle, ein Kultur- und Gemeinschaftszentrum am Nordbahnhof-Gelände, hatte die Stadt nicht viel übrig. Noch vorhanden ist immerhin die historische Markthalle in der Nußdorfer Straße. Seit 2002 befindet sich darin jedoch ein schlichter Supermarkt.

Supermärkte statt Märkte

Statt neue Märkte zu eröffnen, vorhandene zu stärken und in freundliche Gestaltung des öffentlichen Raums zu investieren, setzt Wien auf riesige Supermärkte immer gleicher Konzerne. Die Konzentration der Verkaufsfläche gibt wenigen Händlern eine unverhältnismäßige Marktmacht. Dazu passt auch der 2018 angekündigte "Supergreißler": Die SPÖ hatte einen "Nahversorger mit Mehrwert" versprochen. Am Ende stand in Simmering eine weitere Spar-Filiale. Dabei schaffen viele kleinere Geschäfte tendenziell sogar mehr Arbeitsplätze als wenige ganz große.

Während die Dichte an Supermärkten und Einkaufszentren hoch ist, haben es Märkte und kleine Händler schwer. In Stadtentwicklungsgebieten und am Stadtrand sucht man Märkte überhaupt vergebens. Auch das Neue Landgut, wo die Reste der Gösserhalle stehen, wird wohl keinen Markt bekommen. Die einzige Frage wird sein, wer hier das Rennen macht: Spar, Rewe oder doch Aldi?

Stadtplanung mit konservativer Schlagseite

Die Vorgänge um die Gösserhalle und den Naschmarkt verweisen auf tiefer liegende Probleme. Einerseits fällt die häufig visionsarme und investorengetriebene Stadtplanung auf, die zuweilen schlicht die Wünsche von stadt- und parteinahen Bauträgern zu erfüllen scheint. Andererseits geht die Verkehrspolitik nach Ausscheiden der Grünen in eine deutlich konservativere Richtung, was nicht ohne Folgen bleiben wird: Die Förderung des motorisierten Individualverkehrs geht mit hohem Flächenverbrauch, Lärm und viel Asphalt – Stichwort: Hitzeproblem – einher.

Um zu sehen, wie sich allzu achtlose Planung auswirkt, genügt ein Blick auf die Umgebung des Hauptbahnhofs: Monotone Neubauten und weite Betonflächen. Unattraktive Erdgeschoßzonen statt vieler Geschäfte und Lokale. Einkaufszentrum statt Markt.

Der Wiedner Gürtel wurde 2013 mit dem Bau des Hauptbahnhofs komplett neu gestaltet.
Foto: Georg Scherer

Den Stadtregierungen der letzten Jahre scheint in manchen Punkten das G'spür für Wien abhandengekommen zu sein. Doch das muss keineswegs so bleiben. Dass auch ganz große Probleme bewältigt werden können, beweist etwa die SPÖ seit jeher im sozialen Wohnbau. Bereits in der instabilen Ersten Republik gelang es ihr, durch den Bau von architektonisch beeindruckenden Gemeindebauten soziale Verwerfungen abzumildern und Gemeinschaft unter den Menschen zu fördern. Für die Gemeindebauten wird Wien heute weltweit beneidet.

Was hindert die wohlverdiente "Hauptstadt des kommunalen Wohnbaus" daran, nun auch zur Hauptstadt der lebenswerten und begrünten Straßen, der Hauptstadt des Radverkehrs und der schönen Gegenwartsarchitektur zu werden? Zu einer Stadt der Märkte und der attraktiven Plätze? (Georg Scherer, 1.9.2021)