Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) hat sich mit der Thaliastraße ein großes Projekt vorgenommen. Auf einer Länge von 2,8 Kilometern werden Bäume gepflanzt, Asphalt reduziert und mehr Aufenthaltsqualität geschaffen. 2025 soll der "Klimaboulevard Thaliastraße" in neuem Glanz erstrahlen. Es handelt sich um eine der umfangreichsten Neugestaltungen seit der Mariahilfer Straße.

Derzeit ist der erste Abschnitt in Bau, gearbeitet wird zwischen Gürtel und Ottakringer Brauerei. Der ganze öffentliche Raum bekommt dabei eine Generalüberholung. Dazu gibt es 91 neue Bäume und viele Sitzgelegenheiten. Bereits weitgehend abgeschlossen sind die Bauarbeiten zwischen Hofferplatz und Gürtel.

In der Thaliastraße stehen jetzt viele neue Bäume.
Foto: Georg Scherer

Buntes Treiben auf grauer Meile

Die Thaliastraße, die vom Gürtel bis hinaus zum Ottakringer Friedhof reicht, ist ein spannendes Pflaster für eine Neugestaltung: Straßenbahnen, reger Autoverkehr und zahlreiche Geschäfte und Lokale prägen die für den 16. Bezirk zentrale Straße. Die vielfältigen Lokale und Imbisse spiegeln die multiethnische Bevölkerung des Bezirks wider. Während die Einkaufsstraße in der Nähe des Brunnenmarkts durchaus gut funktioniert, häufen sich stadtauswärts die Leerstände.

Die Thaliastraße vor der Umgestaltung.
Foto: Georg Scherer

Das Funktionieren oder Nichtfunktionieren von Einkaufsstraßen hat maßgeblich mit der Gestaltung des öffentlichen Raums zu tun. Dahingehend hat die Thaliastraße reichlich Nachholbedarf: viel Asphalt, wenig Begrünung und Vorrang für den motorisierten Individualverkehr sind in Wien zwar die Regel – für Wohlbefinden, Straßenbild und Geschäfte aber nicht sehr hilfreich.

Asphalt und fehlende Bäume prägen die Thaliastraße
Foto: Georg Scherer

Auch wenn die Thaliastraße kaum dafür bekannt ist, lohnt sich ein Besuch auch für Freunde historischer Architektur. Etliche Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert haben sich in diesem Teil Ottakrings erhalten. Es sind genau solche aufwendig dekorierten Fassaden, die bei geeigneter Inszenierung – Stichwort: Verkehrsberuhigung – erst so richtig zur Geltung kommen. Dass noch so viele alte Häuser in der Thaliastraße stehen, ist aber eher dem Zufall zu verdanken. Um Schutzzonen gegen Abrisse haben sich Bezirksvorstehung und Stadträte die längste Zeit nicht gekümmert. So durfte etwa noch vor wenigen Jahren eine Zeile aus gleich drei Gründerzeithäusern niedergerissen werden.

Neue Bäume, alte Parkplätze

Sima hat sich ganz der Begrünung verschrieben. Mit der Aktion "Raus aus dem Asphalt" wirbt die Planungsstadträtin für eine Aufwertung von Straßen und Plätzen. Zugleich werden aber die Privilegien des Autoverkehrs nicht angetastet: Fahrbahnen und Parkplätze sollen bestehen bleiben, neue Hochleistungsstraßen gebaut werden. Dass es zwischen diesen Zielen zu Konflikten kommen muss, wird auch beim Umbau der Thaliastraße deutlich.

Nahe Brunnenmarkt ist die Umgestaltung schon fertig.
Foto: Georg Scherer

Die Planungen wirken generell nicht recht zu Ende gedacht:

  • Teilweise wurde wieder viel Asphalt verlegt.
  • Auf hochwertigen und langlebigen Naturstein als Bodenbelag für die Gehsteige wurde verzichtet.
  • Fußgänger haben teilweise nicht viel mehr Platz als vorher. Dafür sind Parkplätze weiterhin zahlreich vorhanden.
  • Eine effektive Verkehrsberuhigung und Begrünung der Seitengassen ist nicht erfolgt.
Auch nach dem Umbau dominiert der Autoverkehr.
Foto: Georg Scherer

Die Anpassung an den Klimawandel ist mittels Baumpflanzungen durchaus gelungen, auch wenn die Bäume noch einige Jahre brauchen werden, bis sie eine gewisse Größe erreicht haben. Doch an der grundsätzlichen Verkehrsorganisation hat sich nicht viel geändert. Nach wie vor werden weite Flächen für Parkplätze bereitgestellt. Anstatt auf Asphalt parken die Fahrzeuge nun auf Betonplatten.

In der umgebauten Thaliastraße gibt es weiterhin Parkplätze.
Foto: Georg Scherer

Seitengassen nicht umgestaltet

Auch die angrenzenden Gassen haben sich in Baustellen verwandelt. Der alte Bodenbelag wird entfernt, an einigen Stellen gibt es neue Bäume. Doch die neue Gestaltung läuft den Ankündigungen der Stadtregierung zuwider, denn erneut wird auf Asphalt gesetzt.

Die in die Thaliastraße mündende Lindauergasse wurde im Oktober frisch asphaltiert.
Foto: Georg Scherer

Die meisten Seitengassen der Thaliastraße sind für den Autoverkehr nur von geringer Bedeutung. Dieser Umstand wird aber nicht genutzt, um größere Flächen umfassend zu begrünen und viel Platz für Bänke und Fußgänger einzurichten.

Die Brunnengasse wurde nicht umgestaltet.
Foto: Georg Scherer

Ottakring lernt Gestaltung

Die Thaliastraße ist nicht das erste Neugestaltungsprojekt im 16. Bezirk. Bereits 2013 wurde die Ottakringer Straße umgebaut – mit einem gewissen Manko: Das gebaute Resultat ist teilweise kaum sichtbar. An einigen Stellen wurden zwar die Gehsteige verbreitert. Die Situation für Fußgänger und Radfahrer hat sich aber kaum gebessert, Bäume gibt es immer noch sehr wenige.

Die Ottakringer Straße wurde 2013 neu gestaltet.
Foto: Georg Scherer

Auch der Umbau der Neulerchenfelder Straße im Jahr 2019 hat nur abschnittsweise Verbesserungen gebracht. Beide Umgestaltungen – Ottakringer und Neulerchenfelder Straße – erfolgten noch unter dem von den Grünen geführten Planungsressort. Ist der limitierte Umbau in beiden Fällen auf Maria Vassilakou beziehungsweise ihre Nachfolgerin, Birgit Hebein, zurückzuführen? Oder hatte sich der von der SPÖ regierte Bezirk gegen größere Veränderungen gestemmt?

Bei der Thaliastraße ist erkennbar, wie die Verantwortlichen durchaus Schlüsse aus früheren Umgestaltungen gezogen haben. Der Umbau ist im Vergleich umfassender, auch wenn nach wie vor der Pkw im Zentrum aller Planungen steht.

Verkehrsberuhigung funktioniert

Braucht es in einer Einkaufsstraße viele Parkplätze? Bleiben die Kunden aus, wenn sie mit dem Auto nicht mehr bis vor ein Geschäft fahren können? Die längste Zeit hieß es von vielen Politikern und Geschäftsleuten: Ohne Auto stirbt eine Einkaufsstraße. Doch Studien und Erfahrungen verweisen eher auf das Gegenteil:

  • Schon vor der Schaffung der ersten Fußgängerzonen in der Inneren Stadt ab den 1970ern wurde ein Niedergang der Geschäfte befürchtet. Genau das Gegenteil trat ein.
  • In verkehrsreduzierten Straßen sind mehr Menschen unterwegs. Also mehr potenzielle Kundschaft.
  • Straßen mit hohen Kfz-Geschwindigkeiten werden von Fußgängern eher gemieden.
  • Der Geschäftsumsatz in verkehrsberuhigten Straßen ist höher.
  • Wer zu Fuß oder mit dem Rad in Einkaufsstraßen kommt, gibt tendenziell mehr Geld aus, da die Besuche häufiger stattfinden.
  • Geschäftsinhaber überschätzen den Anteil an Kunden, die mit dem Auto kommen, signifikant.
  • Umgestaltungen werden – besonders im Nachhinein – von der Bevölkerung als sehr positiv empfunden. Die Skepsis bleibt meist auf die Zeit vor dem Umbau beschränkt.
  • In einer Passantenbefragung in der Thaliastraße gaben 2008 nur drei Prozent an, mit dem Pkw gekommen zu sein.

Neubaugasse als neuer Standard?

Der Umbau der Thaliastraße ist bisher eine etwas halbgare Angelegenheit. Einerseits eine sichtbare Aufwertung im Vergleich zu vorher, vor allem durch die neuen Bäume. Aber doch wäre so viel mehr möglich gewesen.

Die Schwachstellen fallen auch deswegen auf, da die Messlatte für Umgestaltungen heute höher liegt als früher. Einen Anteil daran hat neben der Mariahilfer Straße auch die Neubaugasse, die auf einem längeren Abschnitt zur Begegnungszone mit Begrünung umgebaut worden ist. Ein Projekt, das sowohl im Bezirk als auch im Rathaus von den Grünen vorangetrieben wurde. Das Resultat ist ein für Wien ungewöhnlich hochwertiges Straßenbild – wenn auch nicht ohne Schattenseiten: Zeitweise kämpft die Neubaugasse mit viel Durchzugsverkehr und illegal abgestellten Fahrzeugen.

Die Neubaugasse im 7. Bezirk wurde von 2020 bis 2021 umgestaltet.
Foto: Georg Scherer

Wie könnte es besser gehen?

Der erste Abschnitt der Thaliastraße wird bald fertig sein. Die bisher gemachten Erfahrungen lassen sich also für die nächsten Bauabschnitte mitnehmen. Das wird besonders für den weiter außerhalb liegenden Teil der Straße wichtig, wo viele Geschäfte leer stehen. In Summe wären beispielsweise folgende Maßnahmen möglich:

  • Sperre einiger einmündender Seitengassen für Kfz, um größere Plätze für Fußgänger, Sitzgelegenheiten und Begrünung zu schaffen
  • Pflasterung mit Naturstein statt Asphalt
  • Einrichten von Haltezonen für Lieferanten und Handwerker, Entfernung von Parkplätzen
  • Aufstellen von Pollern, um unerlaubtes Parken auf Gehsteigen zu verhindern

Eine Frage ist noch ganz entscheidend: Könnte die Durchfahrt an einer oder mehreren Stellen für Kfz unterbrochen werden, um den Transitverkehr wegzubekommen? Ließe sich in der Folge eine Begegnungszone einrichten? Auf kurzen Abschnitten gar eine Fußgängerzone? Beispiele aus Graz und Brünn zeigen, dass auch Straßenbahnen in Begegnungs- und Fußgängerzonen einwandfrei fahren können.

Was auf den ersten Blick radikal klingen mag, ist in Ottakring übrigens aktuell Realität: Aufgrund der Bauarbeiten ist die Durchfahrt in der Thaliastraße für den Kfz-Verkehr stellenweise gesperrt. Völlig ohne mediale und politische Aufregung. (Georg Scherer, 29.10.2021)