Leopoldauer Platz: Abriss trotz Schutzzone!

Der Leopoldauer Platz ist einer von nur wenigen gut erhaltenen historischen Ortskernen in Floridsdorf. Seit vielen Jahren gilt dort eine Schutzzone, um die größtenteils aus dem 19. Jahrhundert stammenden Häuser vor dem Abbruch zu bewahren. Trotzdem wurden im Jahr 2020 zwei dieser alten Häuser abgerissen. Der Grund: Die Häuser sollen abbruchreif sein. – Doch gerade die Abbruchreife ist ein Musterbeispiel für Intransparenz, denn Gutachten, Sachverständige und die Vorgänge bei den Behörden bleiben für Außenstehende völlig im Dunkeln.

einstöckiges historisches Gebäude am Leopoldauer Platz 11 mit Autos im Vordergrund, Abriss 2020 trotz Schutzzone, Wien-Floridsdorf
Dieses Haus am Leopoldauer Platz Nr. 11 wurde trotz Schutzzone abgerissen. (Foto: Mai 2020)

Leopoldau: Das alte Dorf in der wachsenden Stadt

Leopoldau war lange Zeit eine kleine Siedlung außerhalb Wiens. Anders als viele andere Bezirke, die schon ab den 1850ern eingemeindet worden waren, kam Leopoldau erst 1905 offiziell zu Wien. Eine Aufnahme aus jener Zeit zeigt das Bild eines typischen niederösterreichischen Dorfes mit einem Dorfplatz, einer Kirche und vielen kleinen Häusern in geschlossener Bauweise:

Leopoldauer Platz um 1900 (ÖNB)

Seit dem frühen 20. Jahrhundert hat sich viel verändert. Die Bezirke Floridsdorf und Donaustadt sind stark gewachsen, Wohnhausanlagen, Betriebe und Straßen wurden gebaut. Der historische Ortskern – der Leopoldauer Platz – ist heute von zahlreichen Neubauten umgeben.

Auch heute noch ist die dörfliche Struktur unübersehbar. Die ältesten Gebäude, u.a. der Pfarrhof, sind aus dem 17. und 18. Jahrhundert, ein Großteil der kleinen Häuser wurde im 19. Jahrhundert errichtet. Einige Zinshäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert sind mit Jugendstil-Dekor geschmückt und heute wunderschön renoviert.

Schutzzone sollte Ortskern erhalten

Die historischen Ortskerne im 21. und 22. Bezirk mit ihren z.T. kleinen Häusern sind auf Maßnahmen der Stadt Wien angewiesen, sollen sie nicht völlig durch oftmals lukrativere und größere Neubauten ersetzt werden. Mit dem enormen Bevölkerungswachstum Wiens seit den 1990ern und der starken Bautätigkeit würde von den alten Orten sonst binnen weniger Jahrzehnte wohl nicht mehr viel übrigbleiben.

Seit 1978 gilt für alle Häuser am Leopoldauer Platz eine Schutzzone, durch die Abbrüche verhindert werden sollen. Doch diese Schutzzone versagt.

Zwei historische Gebäude abgerissen

Äußerlich unterschieden sich die Häuser auf Nr. 9 und 11 (Foto unten) nicht von den meisten anderen der Umgebung. Die Fassaden wirkten sauber und dürften vor etlichen Jahren sogar einen frischen Anstrich bekommen haben. Zumindest die straßenseitigen Fassadenfronten waren wohl noch original aus dem 19. Jahrhundert. Auch hier gilt die Schutzzone.

Die beiden Häuser waren klein und im Verhältnis einfach gestaltet, trotzdem aber etwas Besonderes, denn von den historischen Ortskernen des 21. und 22. Bezirks ist teilweise nicht viel übriggeblieben. So sind vom einstigen Kagran nur noch kleinere Reste vorhanden, auch das alte Kaisermühlen ist durch Abrisse schon stark reduziert. Der Leopoldauer Platz war einer der wenigen weitgehend intakten alten Ortskerne. Bis 2020.

Eine Anfrage bei der Baupolizei (MA 37) ergab: Beide Häuser seien abbruchreif gewesen. So war der Abriss gesetzlich erlaubt. Die Hintergründe bleiben für die Öffentlichkeit verborgen.

Im August 2020 waren bereits die Dächer beider Häuser abgedeckt:

Im September 2020 waren die Häuser bereits vollständig abgerissen:

Leopoldauer Platz Nr. 10 schon länger abgerissen

Früher hatte sich zwischen den beiden 2020 abgebrochenen Gebäuden ein weiteres altes Haus befunden, das aber zuletzt nur noch als Ruine erhalten war (Fotos unten). Zumindest im Jahr 1999 war das Haus jedoch noch intakt. Die graue Fassade darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dieses Haus wohl aus dem 19. Jahrhundert stammte und sich nach einer Renovierung und mit ein Bisschen Farbe wieder gut in das dörfliche Ensemble eingefügt hätte.

Da die Schutzzone auch schon vor 20 Jahren in Kraft war, stellt sich die Frage, wie es zu diesem Verfall kommen konnte. Immerhin gilt für alle Gebäude eine gesetzlich festgeschriebene Erhaltungspflicht. Funktioniert diese Erhaltungspflicht in der Praxis gar nicht?

Großer Neubau kommt

Mit dem Abbruch der Häuser links und rechts wurde ein großer Bauplatz für einen dreigeschoßigen Neubau frei. Offensichtlich wurde also das mittlere, schon länger brachliegende Grundstück nicht bebaut, um schlussendlich einen noch größeren zusammenhängenden Neubau errichten zu können. Waren die beiden Häuser also einem gewinnbringenden Neubau schlicht im Weg?

Riesiges freies Grundstück nach Abriss dreier Häuser: Leopoldauer Platz 9-11 (Foto: September 2020)

Hinter dem Neubauprojekt steckt ein Wiener Bauträger, der vor allem in Transdanubien aktiv ist und im Auftrag eines großen Immobilieninvestors agiert (womit nicht die Abbruchfirma gemeint ist, die mit ihren Transparenten auf den Fassaden wirbt). Auch wenn es am Leopoldauer Platz auf den ersten Blick nicht so wirken mag, sind hier keine kleinen örtlichen Eigentümer am Werk, sondern millionenschwere Unternehmen.

Neu ohne Kompromisse

Das Grundstück, auf dem der Neubau errichtet wird, ist verhältnismäßig groß. Wie in vielen alten Dörfern handelt es sich um schmale, aber weit nach hinten reichende Grundstücke. Laut Bebauungsplan dürfen zwei Drittel verbaut werden, ein Hof von einem Drittel der Grundstücksbreite muss bleiben. Das ist im Vergleich zu der noch bis zum Sommer 2020 vorhandenen Bebauung ein extremer Zuwachs, der auch erklärt, warum hier ein Abriss trotz Schutzzone äußerst rentabel war.

Doch ein Kompromiss wäre leicht möglich gewesen:

  • Die historischen Vorderhäuser hätten erhalten, die Hofflächen neu bebaut werden können. Ein Abriss wäre dann nicht mehr nötig gewesen. Alt und Neu hätten sich verbinden lassen.
  • Mit dem durch die Neubauten im Hof erzielten Gewinn wäre es leicht möglich gewesen, die Sanierung der Altbauten zu finanzieren.

Doch das ist nicht passiert. Ein Grund dafür ist der Bebauungsplan, der eine viel umfangreichere Bebauung erlaubt, also derzeit dort vorhanden ist. So wurde bereits im Jahr 2001 (aus dieser Zeit stammt der Bebauungsplan) der erste Schritt zu den Abrissen gelegt.

Gerade in diesen Dingen wird deutlich, wie weit sich Entscheidungen von Politik und Behörden in die Zukunft auswirken können. Als der Bebauungsplan ausgearbeitet und in Kraft getreten war, regierte in Wien noch Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Planungsstadtrat war damals Bernhard Görg (ÖVP), dem auch jene Abteilungen unterstanden, die für die Bebauungspläne und Schutzzonen zuständig sind.

Beliebigkeit in der Schutzzone

Jetzt rächt sich auch eine Gesetzesänderung aus den 1980ern: Ursprünglich war gesetzlich festgeschrieben, dass sich neue Häuser innerhalb von Schutzzonen an die Architektur der Umgebung anpassen müssen. Extreme Brüche mit dem Ortsbild wurden so verhindert, auch wenn die damalige Bestimmung keine „Kopien“ alter Häuser forderte, sondern durchaus Freiheit in der Gestaltung gestattete.

Doch mit der Deregulierung der Bauordnung im Jahr 1987 („lex Hollein“) ist diese Verpflichtung ersatzlos entfallen. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass völlige Beliebigkeit bei der Gestaltung von Neubauten in Schutzzonen herrscht. Selbst grundlegende Leitlinien (z.B. Farben, Fensterachsen usw.) oder auch nur Empfehlungen fehlen, lediglich die groben Bestimmungen des Bebauungsplans (Bauflucht, Höhe etc.) müssen eingehalten werden. So unterscheiden sich Neubauten innerhalb von Schutzzonen auch nicht von allen anderen neuen Gebäuden. Vielleicht hat die damalige Deregulierung sogar zu mehr Abbrüchen in Schutzzonen geführt, da der Neubau folglich einfacher und ohne umfangreichere behördliche Auflagen über die Bühne gehen kann.

Auch am Leopoldauer Platz wurden Neubauten mit vergleichsweise minimalem ästhetischen Aufwand errichtet. Sogar mitten im Zentrum der Schutzzone:

Keine Rücksicht auf über 300 Jahre alten Pfarrhof

Der Neubau am Leopoldauer Platz 9-11 darf in seiner Gestaltung beliebig sein, Rücksicht auf die historisch gewachsene Umgebung ist nicht nötig. Auch nicht auf den direkt angrenzenden 1677 erbauten Pfarrhof (Fotos unten).

Zerstörtes Ensemble

Die beiden abgerissenen Häuser sind zwar einfach gestaltet, waren aber trotzdem integraler Bestand des Leopoldauer Ensembles und somit sehr erhaltenswert. Nicht umsonst standen sie in der Schutzzone. Auf dem Foto unten ist zu sehen, wie die Fassadengestaltung um die Fenster und die Farbgebung harmonisch zueinander passten. Diese Harmonie wurde durch den Abriss zerstört.

Häuserensemble am Leopoldauer Platz 9-12 (Fotos: 2020)

Hoher wirtschaftlicher Druck

Der im Sommer 2020 in Bau befindliche Dachausbau am Haus Leopoldauer Platz 19 exemplifiziert den enormen wirtschaftlichen Druck, der auf den alten Häusern Floridsdorfs lastet. Zumindest bleibt in diesem Fall die straßenseitige Fassade erhalten:

Leopoldauer Platz 19: Dachausbau in der Schutzzone (Foto: 2020)

Geheimsache Abbruchreife

Ist ein Gebäude nicht mehr wirtschaftlich sanierbar, kommt also die Sanierung teurer als ein Neubau, ist ein Abbruch erlaubt – auch in Schutzzonen. Doch die Verfahren rund um die Abbruchreife sind alles andere als transparent (was natürlich nicht heißt, dass im Fall Leopoldauer Platz irgendetwas nicht vorschriftsmäßig abgelaufen ist).

Hier einige der akutesten „Baustellen“ in Bezug auf die Abbruchreife:

  • Private Abrissgutachten: Eigentümer können Abbruchreife mittels privat beauftragter (und privat bezahlter) Gutachten nachweisen.
  • Unbekannte Gutachter: Wer bzw. welches Büro ein Gutachten angefertigt hat, bleibt für Außenstehende unklar.
  • Inhalt des Gutachtens unbekannt: Was in einem Gutachten steht und wie die Abbruchreife im Detail berechnet wird, ist für unabhängige Prüfer (z.B. NGOs) bzw. die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Überdies gilt das Amtsgeheimnis.
  • Baupolizei und Gutachten: Inwiefern die Baupolizei private Gutachten akzeptiert und ob sie eigene Untersuchungen bzw. weitere Gutachten anfertigt oder fordert, ist unklar.
  • Erhaltungspflicht: Gebäude müssen laut Wiener Bauordnung in gutem Zustand erhalten werden, besonders in Schutzzonen. Wie kann ein Haus dann plötzlich abbruchreif sein?
  • Fortgesetzter Verfall: Immer wieder verfallen Häuser über viele Jahre hinweg, bis es letztlich zur Abbruchreife kommt. Auch nachweislich erhaltenswerte Gebäude gehen so verloren. Fehlen den Behörden die rechtlichen und/oder personellen Mittel, um das zu stoppen?
  • Altstadterhaltungsfonds: Wien fördert die Renovierung von Häusern in Schutzzonen mit etwas über 2 Mio. Euro pro Jahr. Ob mit einem solchen Betrag (und den über 15.000 Häusern in Schutzzonen) eine umfassende Unterstützung zur Verhinderung der Abbruchreife erreicht wird, darf bezweifelt werden.

Mehr Schutz für Altbauten nötig

Neubauten kommen meist billiger als Sanierungen. Auch wenn sich Bestandsgebäude aufstocken bzw. hofseitig mitunter beträchtlich erweitern lassen, wird der Gewinn für einen Investor oft größer sein, wenn er abreißen und neu bauen lässt. Selbst wenn mietrechtlich in Altbauten genauso viel wie in Neubauten verlangt werden dürfte, lassen sich in neuen Häusern mehr Stockwerke unterbringen. Und diese zusätzliche Fläche kann auch vermietet werden, was die entsprechenden Mehreinnahmen bringt.

Daher bleibt letztlich wohl nur diese Option: Unternehmen, die schnelles Geld mit Abrissen und Neubauten suchen, müssen durch effektive rechtliche Instrumente am Abriss historisch erhaltenswerter Gebäude gehindert werden. Die Erhaltungspflicht muss stärker kontrolliert und durchgesetzt, die Schutzzonen müssen vergrößert werden. Die Behörden dürfen Grundstücke, auf denen erhaltenswerte Altbauten stehen, nicht so widmen, dass viel größer und höher gebaut werden darf, als die Altbauten hoch sind. Und Vorgänge rund um die Abbruchreife müssen endlich transparent werden, was auch die Abschaffung des Amtsgeheimnisses miteinschließt. Erst dann werden sich Abbrüche effektiver verhindern lassen. (Hier einige Vorschläge für mögliche Reformen.)

Es gibt genügend Beispiele, wie historische Häuser schön und nachhaltig renoviert worden sind. Auch am Leopoldauer Platz.

Kontakte zu Stadt & Politik

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen und weitere Infos

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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