Kaiserstraße 31: „Abbruchskandal“ um Biedermeierhaus

Im 7. Bezirk wurde ein historisches Gebäude abgerissen. Trotz Ortsbild-Schutzzone und Denkmalschutz hatten die Behörden das 1803 erbaute Biedermeierhaus zum Abbruch freigegeben. Die Initiative Denkmalschutz ortet einen „Abbruchskandal“. Die Liegenschaft Kaiserstraße 31 ist im Eigentum eines Klosters und hätte ursprünglich saniert werden sollen.

Die Bezirksvorstehung wurde in die Abbruchbewilligung nicht einmal mit einbezogen. Damit haben die Behörden entgegen der Stadtverfassung gehandelt.

Der Artikel wurde nach dem Erscheinen mehrmals aktualisiert.

Kaiserstraße 31, Biedermeierhaus
Biedermeierhaus in der Kaiserstraße 31 (Foto: 2022)

Wien: Abriss leicht gemacht

Jetzt ist wieder was passiert. Nur wenige Wochen nach dem Abriss eines alten Hauses (Seidengasse 19) sah ein weiteres historisches Gebäude seinem Ende entgegen. Wieder ein Biedermeierhaus und wieder im 7. Bezirk. Anders als in der Seidengasse hätte das 1803 erbaute Haus in der Kaiserstraße 31 eigentlich bestens geschützt sein sollen: Das Haus stand in einer Ortsbild-Schutzzone; es darf nicht viel höher gebaut werden, als das Haus hoch war; Teile der Fassade stand teilweise unter Denkmalschutz. Aber trotzdem versagte das Wiener Baurecht auch hier beim Abriss-Schutz.

abgerissen: Kaiserstraße 31 (Foto: Juni 2022)

2019: Teilabriss ohne Bewilligung?

Die Aufregung im August 2019 war groß, als plötzlich Abbruchmaschinen in der Kaiserstraße 31 auffuhren und einen Teil des Hauses abrissen. Dass dies trotz Schutzzone und ohne rechtzeitige Information der Öffentlichkeit geschah, versetzte einige Bewohner der Umgebung in Alarmbereitschaft. Sogar ein illegaler Abbruch wurde befürchtet.

Doch kurze Zeit später erklärten die zuständigen Planer: Der Teilabbruch sei mit den Behörden abgestimmt gewesen. Die Entfernung eines Trakts war offenbar notwendig geworden, um Bauarbeiten im Hof – eine Schule wurde errichtet – durchzuführen. Bei der Schule handelt es sich um das Bildungszentrum Kenyongasse, das in dem Häuserblock mehrere Schulen betreibt.

Also alles in Ordnung? Keineswegs, denn aus dem Wiener Wohnbauressort ist 2022 etwas anderes zu hören. Demnach war der Teilabbruch baubehördlich nicht bewilligt! Es soll deswegen auch einen Strafantrag gegeben haben. Musste der Eigentümer also Strafe zahlen? Genauere Infos liegen WienSchauen derzeit nicht vor.

Biedermeierhaus in der Kaiserstraße in Wien-Neubau
Kaiserstraße 31 mit 2019 abgebrochenem Gebäudeteil (Foto: 2022)

Schutzwürdiges Häuserensemble

Das teilweise abgerissene Haus in der Kaiserstraße 31 war Teil des Klosters der Töchter vom Göttlichen Erlöser, das sich über mehrere historische Gebäude erstreckt. Es war um 1803 nach Plänen des Wiener Architekten Gottlieb Nigelli erbaut worden und gehörte damit zu den ältesten Gebäuden im 7. Bezirk. die Liegenschaft befindet sich noch im Eigentum des Klosters. Das ganze Häuserensemble ist in einer Ortsbild-Schutzzone.

Fassade zum Teil unter Denkmalschutz

Mehr noch als die Schutzzone schützt der Denkmalschutz alte Häuser vor dem Abbruch. Teile der Fassade und die Nachbarhäuser stehen unter Denkmalschutz: „[S]chon 1973 hat das Bundesdenkmalamt zumindest für die „Reliefs der Straßenfassade“ (Muschelmotive) einen Schutz ausgesprochen“, so die Initiative Denkmalschutz.

Auszug aus einer Tabelle mit denkmalgeschützten Gebäuden
Kaiserstraße 25-31 stehen unter Denkmalschutz (Denkmalliste von 2019)

Sanierung versprochen - und gebrochen

Die Planer des Schulneubaus erklärten 2019, das Biedermeierhaus in der Kaiserstraße würde nach Abschluss der Bauarbeiten wieder instandgesetzt. Doch 2022 kam es ganz anders, wie die Initiative Denkmalschutz berichtete:

Ursprünglich hätte das Biedermeierhaus in der Kaiserstraße 31 revitalisiert werden sollen, doch plötzlich kam alles anders. Jetzt gibt die „wirtschaftliche Abbruchreife“ dem Gebäude den Todesstoß (…) So wurde – unbemerkt von der Öffentlichkeit – am 27.10.2021 die Abbruchbewilligung erteilt (…)

Auch in der Bezirkspolitik sei man von einer Sanierung ausgegangen. Mit einem Abbruch hatte offenbar niemand gerechnet.

Es drängt sich die Frage auf: Wurde der 2019 erfolgte Teilabriss vielleicht sogar genutzt, um später dann auch den Rest des Gebäudes leichter loswerden zu können? Oder ist das nur Zufall?

Biedermeierhaus Kaiserstraße 31 (Foto: 2022, anonym)

Bruch der Stadtverfassung?

Bei Abbruchbewilligungen müssen auch die Bezirke mit einbezogen werden. Im Fall Kaiserstraße 31 ist das aber laut der Neubauer Bezirksvorstehung nicht passiert. Demnach haben die zum Wohnbauressort von Kathrin Gaál (SPÖ) gehörenden Behörden offenbar wider die Stadtverfassung gehandelt.

Bezirksvorsteher Markus Reiter (Grüne) fordert Aufklärung:

Der Abbruch des Gebäudes muss sofort gestoppt werden und es braucht eine transparente Offenlegung aller Akten, Gutachten und sowie sämtlicher weiterer Abmachungen zwischen den Dienststellen der Stadt Wien und dem Bauwerber.

Abriss politisch gewollt?

Die Liegenschaft in der Kaiserstraße 31 gehört einem Kloster, genutzt werden die Gebäude vom Bildungszentrum Kenyongasse. Direkt daneben befindet sich das ehemalige Sopienspital, das saniert und künftig neu genutzt und teilweise neu bebaut wird.

Eigentlich hätte am Gelände des ehemaligen Spitals auch eine Schule errichtet werden sollen. Doch das hat sich mit dem Regierungswechsel 2020 geändert. SPÖ und NEOS strichen die Pläne von Rot-Grün für eine Volksschule und setzten stattdessen auf Wohnbau.

Eine Vermutung drängt sich auf: Erlaubt die Stadt Wien den Abriss vielleicht, damit dort, wo das Biedermeierhaus Kaiserstraße 31 steht, die Schule errichtet werden kann? Als Ausgleich für den Bauplatz, der am Sophienspital für die Schule gestrichen wurde? Oder will der Eigentümer in der Kaiserstraße keine neue öffentliche Schule als „Konkurrenz“ zu eigenen (privaten) Schule und das Rathaus hat deswegen den Schulbau abgesagt? Wollte vielleicht ein Bauträger den Bauplatz am Sophienspital haben? Ist der Abriss schon lange ausgemachte Sache? – Dabei handelt es sich freilich durchwegs um bloße Spekulationen, die sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht belegen lassen.

In Medienberichten war nach dem Erscheinen dieses Artikels zu lesen, dass das Kloster dieses Grundstück künftig für Wohnbau nutzen möchte.

Widerstand gegen den Abriss

Anrainer und die Initiative Denkmalschutz demonstrierten gegen den Abriss. Auch eine Unterschriftenaktion zum Erhalt wurde gestartet – vergeblich.

Demonstration vor der Baustelle (Foto: 7.7.2022, Matthias Fiegl-Bibawy / Gatis Lazdans / David Ully)

Abbruch

Anfang Juli wurde mit dem Abriss begonnen. Die denkmalgeschützten Fassadenteile wurden kurz davor entfernt (aber wohl nicht zerstört).

Kein Abriss-Schutz für historische Häuser

Die Wiener Bauordnung ermöglicht es, Schutzzonen für erhaltenswerte Gebäude festzulegen. Für Gebäude in Schutzzonen gelten strengere Auflagen in Hinblick auf Umbauten, Fassadenfarben und Fenster. Auch Abbrüche sollten eigentlich erschwert werden. In der Praxis funktioniert das aber überhaupt nicht und führt zu einer paradoxen Situation: Während Eigentümer von Häusern in Schutzzonen peinlich genaue Auflagen für Renovierungen und dergleichen hinnehmen müssen, dürfen andere Eigentümer – meist Firmen und Investoren – ihre Häuser trotz Schutzzone  niederreißen. So geschehen etwa in der Krieglergasse im 3. Bezirk, am Leopoldauer Platz im 21. Bezirk, in der Kranzgasse im 15. Bezirk und in den Gudrunstraße im 10. Bezirk.

Das wirft kein gutes Licht auf das Wohnbauressort von Stadträtin Kathrin Gaál (SPÖ), der die zuständigen Abteilungen (MA 25 und MA 37) unterstehen. Insbesondere die MA 25 ist immer wieder ein Problem: Auf der Basis privater Gutachten, die von Bauträgern bzw. Investoren eingebracht werden, berechnet diese Abteilung, ob ein altes Haus sanierbar ist oder nicht. Da Privatgutachten einfach akzeptiert werden und die Details von Abbruchverfahren für die Öffentlichkeit völlig intransparent sind, ist immer unklar, in welchem baulichen Zustand ein Gebäude wirklich ist bzw. war.

Die Initiative Denkmalschutz fordert die Abschaffung der „Abbruchreife“:

Die Berechnungsmethode dieser „wirtschaftlichen Abbruchreife“ ist extrem benachteiligend für den Altbau, denn einerseits sind die Mieteinnahmen gedeckelt (im Gegensatz zum Neubau), andererseits lassen sich bei Neubauten zumeist deutlich mehr Geschoße errichten und somit mehr Einnahmen (Miete/Verkauf) erwirtschaften. Des Weiteren erspart man sich eine aufwändige Sanierung von Fassadendekor (…) Auch der dafür zuständige Altstadterhaltungsfonds kann – trotz zum Teil beträchtlicher Förderzusagen (…) – diese Schieflage immer seltener ausgleichen.

Daher fordert die Initiative Denkmalschutz eine Abschaffung der „wirtschaftlichen Abbruchreife“ und damit ein Ende einer solchen Förderung von Abriss und Neubau. Es müssen neue Instrumente gefunden werden, um Eigentümer von Altbauten zu entlasten und die Altstadterhaltung zu sichern.

Auch die Grünen verlangen anlässlich des Falls Kaiserstraße 31 rasche Reformen. Wohnbausprecher Georg Prack:

Die Abschaffung der wirtschaftlichen Abbruchreife muss endlich kommen, damit wir Spekulanten das Handwerk legen und die Vernichtung leistbarer Altbauwohnungen verhindern. Zudem braucht es eine massive Einschränkung der technischen Abbruchreife um Umgehungsversuche zu vermeiden. Schließlich müssen die Strafen weiter erhöht werden, wie das die Grünen schon bei der letzten Novelle der Bauordnung gefordert haben.

Sigmundsgasse: Denkmalamt rettet Biedermeierhaus

Wie leicht Abbrüche in Wien möglich sind, zeigt sich am Beispiel eines weiteren Biedermeierhauses im 7. Bezirk: In der Sigmundsgasse, nahe Spittelberg und Volkstheater, hat sich ein ganz seltenes Ensemble alter Häuser erhalten. Alle erbaut um 1840 und fast alle hervorragend renoviert.

Eines dieser seltenen Häuser stand um 2006 an der Kippe. Ein bekannter Investor wollte das Haus abreißen und einen Neubau errichten lassen. Die Wiener Behörden hatten bereits einen Abbruchbescheid ausgestellt. Gerade noch rechtzeitig griff aber das Bundesdenkmalamt ein und stellte das Gebäude unter Schutz. Im Bericht des Denkmalbeirats ist zu lesen:

Der am gegenständlichen Objekt angelegte Bewertungsmaßstab [durch die Wiener Behörden] macht die aus gleicher Zeit stammenden Gebäude in der Straße, aber auch die meisten Objekte des 19. Jahrhunderts zu potenziellen Abbruchobjekten.

Das heißt: Nach derzeitiger Gesetzeslage kann jedes alte Haus als abbruchreif gelten. Somit sind tausende Gebäude und zehntausende Bewohner potenziell gefährdet. Niemand weiß, welches Haus es als nächstes trifft.

Das Biedermeierhaus in der Sigmundsgasse 5 ist heute übrigens mustergültig saniert. Die „Abbruchreife“ hatte also offenbar keinerlei reale Basis.

Biedermeierhaus in der Sigmundsgasse in Wien-Neubau, renoviert
Sigmundsgasse 5: um 2006 fast abgerissen, heute saniert (Foto: 2022)

Hinweis: Dieser Artikel enthält Teile eines 2019 erschienenen Artikels über dasselbe Gebäude.

Kontakte zu Stadt & Politik

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im Jänner 2021.)
+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im Jänner 2021.)

Quellen

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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