Abriss und Neubau in Schutzzone – Optik egal?

Seit 2013 ist das Zentrum von Hernals um zwei Gründerzeithäuser ärmer. Jetzt sticht ein riesiger Neubau mit liebloser Architektur wie ein Fremdkörper zwischen den aufwändigen Fassaden der Jahrhundertwendehäuser hervor – und das mitten in der Schutzzone, die Abrisse eigentlich verhindern sollte.

„Wir wollten die Nutzfläche in Absprache mit den Investoren maximieren“, ist auf der Webseite des Bauträgers zu lesen. Man habe sich deshalb für einen Abriss in der Schutzzone und für einen kompletten Neubau entschieden.

Hernalser Hauptstraße: Gründerzeithaus (Baujahr 1900) neben Neubau (Baujahr 2016) nach Abriss (Foto: 2019)

Hernalser Bezirkszentrum: Ein historisches Kleinod

Die meisten Häuser zwischen Elterleinplatz, Hernalser Hauptstraße und Jörgerstraße wurden in einer der aufstrebendsten Perioden Wiens erbaut. Mitten in den Boom der Gründerzeit fallen die Häuser mit ihren reichen Ornamenten, kunstvollen Erkern und stattlichen Balkonen. „Die heutige Bausubstanz entstammt zum überwiegenden Teil dem späteren 19. Jahrhundert. Teilweise sind jedoch noch bauliche Zeugnisse der hier einst beheimateten Etablissements erhalten geblieben“, schreibt die für Architektur zuständige Magistratsabteilung. Beispielsweise das bekannte Veranstaltungszentrum „Metropol“, das auch auf den Fotos unten zu sehen ist.

Die meisten Gebäude wurden innerhalb eines Zeitraums von nur etwa 30 Jahren erbaut, was die weitgehend einheitliche und harmonische Gestaltung des gesamten Grätzls erklärt. Das Hernalser Bezirkszentrum ist ein Musterbeispiel für ein historisches Häuserensemble.

Neubau in einer Schutzzone in der Hernalser Hauptstraße, Wien
Hernalser Hauptstraße: Gründerzeithaus (Baujahr 1900) neben Neubau (Baujahr 2016) nach Abriss

Schutzzone gegen Abrisse: Die Theorie

Um solche historischen Ensembles langfristig zu bewahren, kann die Stadt Wien Schutzzonen festsetzen. In Schutzzonen sind Abrisse und grobe Veränderungen an Gebäuden nur ausnahmsweise erlaubt. „Es handelt sich um jene Bereiche, in welchen die Erhaltung des charakteristischen Stadtbildes zu gewährleisten ist“, heißt es bei der Stadt Wien. Auch in Hernals gibt es eine kleine Schutzzone (siehe Karte unten).

Schutzzone (gelbe Fläche), abgerissene Häuser rot markiert (©ViennaGIS, Stadt Wien)

Schutzzone gegen Abrisse: Die Praxis

Doch selbst in Schutzzonen sind erhaltenswerte Häuser nicht immer sicher. Unzählige Gebäude wurden in den letzten Jahren trotz Schutzzonen abgerissen. Beispielsweise in der Großen Sperlgasse 14 (erbaut Mitte 17. Jahrhundert) und Karmelitergasse 3 (erbaut im 18. Jahrhundert) im 2. Bezirk und am Leopoldauer Platz (21. Bezirk). Oder es kam zu Abbrüchen trotz erwiesener Erhaltungswürdigkeit (z.B. I. Medizinische Klinik des AKH).

Eigentümer können durch privat beauftragte Gutachten als Nachweis technischer bzw. wirtschaftlicher Abbruchreife eine Abbruchbewilligung von der Baupolizei erwirken. Nachdem es aber in der Wiener Bauordnung eine Erhaltungspflicht gibt, fragt sich, wie ein Gebäude überhaupt soweit verfallen kann, dass ein Abriss gestattet wird.

Generell lastet auf historischen Gebäuden oft hoher wirtschaftlicher Druck: Viele Grundstücke dürfen laut Bebauungsplan deutlich höher bebaut werden, als die Bestandsgebäude wirklich hoch sind. So lohnt sich ein Neubau umso mehr, zumal niedrige Raumhöhen mehr Geschoße ergeben und die Richtwertbegrenzung bei den Mieten wegfällt.

Zwei Häuser aus dem Ensemble gerissen

Die Gründerzeithäuser Hernalser Hauptstraße 59 und 61, beide errichtet Ende des 19. Jahrhunderts, waren integraler Bestandteil des historischen Bezirkszentrums. Das kleinere Gebäude auf Nr. 59 (siehe unten) ist sogar im Dehio, dem Handbuch der Kunstdenkmäler Österreichs, verzeichnet. Es war im Stil des strengen Historismus erbaut worden – also jenem Baustil, der sich auch bei vielen Bauten an der Ringstraße findet.

Einst hatte es auch auf Nr. 63 ein historisches Gebäude gegeben. In diesem etwa aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden Wohnhaus hatte der heute vergessene Volksdichter Ferdinand Sauter (1804-1854) gewohnt. Es wurde im frühen 20. Jahrhundert demoliert, wohl um die Engstellte der Hernalser Hauptraße zu beseitigen. Der kleine Bauplatz fand bis zum Abriss der Nachbarhäuser als Parkplatz Verwendung. Auf einer historischen Aufnahme sind noch alle drei Häuser zu sehen (siehe unten).

Keine Infos von der Baupolizei

Sang und klanglos ging der Abriss über die Bühne. Keine Bürgerinitiative, kein Aufschrei, keine mediale Berichterstattung. Ob die Häuser wirklich abbruchreif waren? Ob es unabhängige Gutachten gibt, die das belegen? Ob der Abriss verhindert hätte werden können? Eine Anfrage bei der Baupolizei blieb vergeblich; man wolle bzw. dürfe zu diesem Abbruch nichts sagen.

Dabei war der Abriss nicht von Vornherein ausgemachte Sache gewesen:

Ursprünglich war bei diesem Objekt die Revitalisierung eines Altbestandes in einer Schutzzone geplant. Vorab wurde das Projekt als Bauherrenmodell aufgesetzt und zur Gänze erfolgreich platziert.

Wir wollten die Nutzfläche in Absprache mit den Investoren jedoch maximieren und haben uns deshalb für einen Abriss in der Schutzzone und kompletten Neubau entschieden. Das ist uns trotz aller Auflagen, Verfahren und Amtswegen in enger Kooperation mit der MA 19 schlussendlich auch gelungen! (…)

Neubau: Modern? Effizient? Rücksichtslos?

Das Architekturbüro, das die Planung innehatte, beschreibt den Neubau mit folgenden Worten:

Ein dynamisches Stiegenhaus ist der farbenfrohe Mittelpunkt unseres jüngst fertig gestellten Wohnhauses im 17. Wiener Gemeindebezirk. Das Gebäudeinnere steht in starkem gestalterischen Kontrast zu Außenseite des Hauses, das im Hinblick auf die prominente Lage in Mitten einer Schutzzone nahe dem Elterleinplatz stadtgestalterisch genau an die Gegebenheiten der bestehenden umgebenden Stadt- und Gebäudestruktur angepasst wurde. (…)

Das farbige Stiegenhaus ist untertags von Außen kaum sichtbar, entwickelt aber in der Dämmerung eine zurückhaltende Farbwirkung, und bringt so eine dezente Farbigkeit in die [sic!] abendliche Straßenbild.

Rein rechtlich sind die Architekten damit auf der sicheren Seite, denn in Schutzzonen ist beim Neubau nahezu alles erlaubt. Rücksicht auf die Umgebung muss nicht genommen werden. Für Neubauten in historischer Umgebung gilt daher de facto dasselbe wie für Neubauten auf der grünen Wiese oder am Rande von Industriegebieten. Wird aber doch einmal mehr in anspruchsvolle Ästhetik investiert, ist das einzig und allein dem guten Willen eines Bauträgers zu verdanken.

Rein rechtlich sind die Architekten damit auf der sicheren Seite, denn in Schutzzonen ist beim Neubau nahezu alles erlaubt. Rücksicht auf die Umgebung muss nicht genommen werden. Für Neubauten in historischer Umgebung gilt daher de facto dasselbe wie für Neubauten auf der grünen Wiese oder am Rande von Industriegebieten. Wird aber doch einmal mehr in anspruchsvolle Ästhetik investiert, ist das einzig und allein dem guten Willen eines Bauträgers zu verdanken.

Die laissez-faire-Haltung der Stadt begünstigt Abrisse in Schutzzonen sogar noch: Da Neubauten ohne Mehraufwand, ohne Berücksichtigung des historischen Gefüges und ohne nennenswerte gestalterische Auflagen realisiert werden dürfen, rentiert es sich erst recht, Altbauten leer stehen und verfallen zu lassen.

Von der Stuckfassade zum Minimal-Look

Besonders im direkten Vergleich von Altbauten und Neubau wird deutlich, wie stark das historische Ensemble beeinträchtigt worden ist.

Beim Neubau wurde weder Rücksicht auf die Vorgängerbauten, noch auf die umliegenden Gründerzeithäuser gekommen.

Wie es anders gehen könnte

Hochwertige Gestaltung, die einer über Jahrhunderte gewachsenen Umgebung angemessen ist, könnte sich an historische Vorbilder anlehnen, um solche Brüche zu vermeiden. Doch auch eine moderne Interpretation fände bestimmt Zustimmung – wenn sie hochwertig und durchdacht ausgeführt wird. Eine kluge Material- und Farbwahl, Kleinteiligkeit, Symmetrie und Einfallsreichtum können zeitgenössischen Gebäuden das geben, was Gründerzeithäuser bis heute so grandios macht: Eine fast zeitlose Architektur kombiniert mit einer Flexibilität, die unterschiedlichste Nutzungen zulässt und damit Langlebigkeit garantiert.

Fälle wie in der Hernalser Hauptstraße lassen sich in Zukunft verhindern – wenn die Stadt das möchte. An vier zentralen Schrauben müsste gedreht werden:

  1. Die verstärkte Durchsetzung der Erhaltungspflicht durch die Baupolizei.
  2. Eine Höherdotierung des Altstadterhaltungsfonds, um die Renovierung historischer Gebäude zu fördern.
  3. Die Anpassung der maximal erlaubten Bauhöhen an die wirklichen Höhen der Häuser in Schutzzonen.
  4. Die Sicherstellung hochwertiger Gestaltung durch transparente Verfahren bei den Magistraten und eine Anpassung der Bauordnung.

Kontakte zu Stadt & Politik

www.wien.gv.at
post@bv17.wien.gv.at
+43 1 4000 17111

Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

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