Abriss durch alle Instanzen

2020 wurden zwei Biedermeierhäuser in der äußeren Mariahilfer Straße abgerissen. Bereits 2018 rückten die 180 Jahre alten Häuser ins Rampenlicht, als Teile der historischen Fassade einfach abgeschlagen wurden. Eine Gesetzesänderung erzwang damals einen Baustopp, doch erhob der Eigentümer Einspruch. Zwei Jahre später gab ihm das Gericht Recht, womit auch die Alternative eines Dachausbaus hinfällig wurde.

Der Fall in der Mariahilfer Straße 166-168 zeigt: Es gibt Unternehmen, die auch vor der Demolierung historisch wertvoller Häuser nicht zurückschrecken. Und die Stadt Wien hat sich über Jahrzehnte hinweg viel zu wenig um die Altstadterhaltung gekümmert.

Mariahilfer Straße 166-168: Fassade im Juni 2018 abgeschlagen, Abriss 2020 per Gerichtsurteil erlaubt

Altstadterhaltung am Abstellgleis

Das gebaute historische Erbe ist in Wien unübersehbar. In kaum einer anderen europäischen Stadt sind so viele Häuser aus der Gründerzeit (ca. 1848-1918) erhalten wie hier. Doch die längste Zeit wurde dieser Glücksfall der Geschichte einfach als selbstverständlich hingenommen oder überhaupt ignoriert. Von manchen Gegenwartsarchitekten mitunter wenig geliebt, sind die schmucken Fassaden aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert vielen Wienerinnen und Wienern ans Herz gewachsen und haben maßgeblich zur Beliebtheit Wiens bei Urlaubern beigetragen (ohne dass die beträchtlichen Einnahmen aus der Ortstaxe 1:1 für die Altstadterhaltung verwendet würden). Dass sich mit sorgsamen Sanierungen und Dachausbauten auch heute noch viel aus den alten Häusern herausholen lässt, vergegenwärtigt, wie flexibel und praktisch damals gebaut wurde.

Trotz allem hat sich die Stadt Wien jahrzehntelang viel zu wenig um die Bewahrung dieses historischen Erbes bemüht, denn nur Häuser unter Denkmalschutz oder in einer Schutzzone waren vor Abbrüchen einigermaßen geschützt. Alle anderen Gebäude (die weit überwiegende Mehrheit) durften einfach abgerissen werden – ohne Prüfung durch die Magistrate und gleichgültig, ob es sich um bedeutende historische Gebäude handelte oder nicht.

Zwar sind durch von der Stadt geförderte Blocksanierungen viele alte Häuser wieder instandgesetzt worden, doch fielen zugleich unzählige erhaltenswerte Häuser der Abrissbirne zum Opfer (siehe Verlorenes Wien). Fast immer zurückzuführen auf fehlende Schutzzonen und/oder zu hohe Bauklassen.

Wendepunkt erst 2018

Bereits 2015 forderte die damalige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne): „Kein Abriss ohne mein Okay“. Was beim roten Koalitionspartner anfangs auf Skepsis stieß, wurde erst drei Jahre später mit der Novellierung der Bauordnung mehr oder minder Realität.

Als die Koalition im Frühjahr 2018 erstmals öffentlich ankündigte, Abbrüche alter Häuser ab kommendem Jahr nur noch zu erlauben, wenn diese nicht erhaltenswert sind, unterschätzte sie wohl den extremen wirtschaftlichen Druck, der auf vielen Altbauten lastet(e). Der mögliche Vorwurf, dass der Immobilienwirtschaft noch ausreichend Zeit eingeräumt werden sollte, um ihre geplanten Abrisse durchzuführen, lässt sich weder belegen noch von der Hand weisen.

Die Ankündigung hatte in jedem Fall ihre durchaus erwartbaren Nebenwirkungen. Investoren und Immo-Firmen hatten es plötzlich eilig, viele wollten noch rasch ihre „ungewollten“ Altbauten loswerden. Daraufhin zog die Rathauskoalition das Gesetz sogar um ein halbes Jahr vor, was wiederum zu ungekannt hektischen Abbrüchen führte. Auch den Biedermeierhäusern in der äußeren Mariahilfer Straße 166-168 wurden die Ereignisse vom Juni 2018 zum Verhängnis.

Mariahilfer Straße 166-168: zwischen Westbahnhof und Auer-Welsbach-Park

Biedermeierhäuser ohne Abriss-Schutz

Während der Großteil der Wiener Altbauten aus der Gründerzeit stammt, waren die beiden Biedermeierhäuser sogar noch älter. Sie wurden um 1840 erbaut, also zur Zeit Metternichs und noch vor dem Revolutionsjahr 1848. Damals waren die Vororte, aus denen sich der heutige Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus zusammensetzt, noch gar nicht bei Wien.

Gebäude und Umgebung original erhalten

Abgesehen von den Geschäften im Erdgeschoß hatten sich die beiden Häuser in den Jahrzehnten zuvor nahezu gar nicht verändert:

Gemeinsamen mit anderen Häusern der Umgebung bilden die beiden Biedermeierhäuser ein architektonisch zusammenhängendes Ensemble, damals wie heute.

Genau solche Ensembles sind prädestiniert, durch Schutzzonen vor Abrissen und groben Veränderungen bewahrt zu werden. Aber es sollte anders kommen.

1999: Chance für Schutzzone vertan

Schutzzonen werden von der Stadt Wien eingerichtet, wofür eine entsprechende Umwidmung nötig ist. Der örtliche Flächenwidmungs- und Bebauungsplan ist zuletzt im Jahr 1999 aktualisiert worden.

Das wäre die Chance gewesen, eine Schutzzone einzurichten – doch passiert ist nichts. Die mehrheitlich aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stammenden Häuser in der ganzen Gegend blieben allesamt ohne Schutz vor Abrissen. Mit schwerwiegenden Konsequenzen.

Schutzwürdigkeit seit zumindest 1998 bekannt

1999 wurde auf die Einrichtung einer Schutzzone „vergessen“. Aber bereits ein Jahr zuvor oder vielleicht sogar noch früher war die Schutzwürdigkeit der Häuser den Behörden bekannt, denn da erfolgte die Inventarisierung in die Gebäudeinformation (eine von der Stadt Wien betriebene Datenbank).

Das heißt, die Behörden und wohl auch örtliche Politiker wussten bei der Umwidmung ganz genau, mit welchen Häusern sie es zu tun hatten. Sogar ein Verweis auf einen Eintrag in der architekturhistorischen Fachliteratur findet sich in der Gebäudeinformation:

Ganzer 15. Bezirk schutzwürdig?

In einer Studie aus dem Jahr 1996 wurde ganz Wien in Hinblick auf möglicherweise schützenswerte Gebiete untersucht. Dabei ist herausgekommen, dass es viel mehr schützenswerte Häuser gibt, als damals (und heute) in Schutzzonen sind.

Auch der 15. Bezirk ist in dieser Studie berücksichtigt. Demnach ist fast der ganze Bezirk für neue Schutzzonen geeignet.

Alle derzeit geltenden Bebauungspläne im 15. Bezirk sind nach 1996 eingerichtet worden. Obwohl also die mögliche Schutzwürdigkeit der Häuser bekannt war, wurden nahezu keine Schutzzonen festgesetzt. Unzählige Abrisse sind die Folge gewesen.

Planungsressort hat keine Schutzzone eingerichtet

Für Schutzzonen ist die Magistratsabteilung für Architektur und Stadtgestaltung (MA 19) zuständig, für die Erstellung der Bebauungspläne die MA 21. Beide Abteilungen gehören zum Planungsressort, das heute Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) leitet.

Dass die Beamten in den Magistraten nicht von sich aus umfassende Entscheidungen treffen (dürfen?), muss nicht verwundern. Der Auftrag für eine einzelne Schutzzone bzw. für eine generelle Ausweitung der Schutzzonen hätte vielmehr vom zuständigen Stadtrat bzw. dessen Büro kommen müssen.

Warum es offensichtlich keine solchen Anweisungen gab, könnten höchstens die Mitglieder der seinerzeitigen SPÖ-ÖVP-Koalition unter Bürgermeister Michael Häupl beantworten. Die Abteilungen, die sich um Bebauungspläne und Schutzzonen kümmern, waren damals Stadtrat Bernhard Görg (ÖVP) unterstellt.

Bezirksparteien hätten Schutzzone fordern können

Auch die Bezirksvorstehung und die Bezirksparteien können neue Schutzzonen fordern (nicht aber erzwingen). Ob die Parteien im 15. Bezirk im Jahr 1999 für eine Schutzzone eintraten, ließe sich erst nach eingehenderer Recherche feststellen. Die Sitzungen der Bauausschüsse sind nicht öffentlich und genaue Wortprotokolle der Bezirksvertretungssitzungen werden nicht angelegt, doch müsste in den Sitzungsprotokollen zumindest ein Hinweis auf Zustimmung, Ablehnung oder Anmerkungen zu dem Bebauungsplan stehen.

Jedenfalls wäre in den letzten 20 Jahren Zeit gewesen, neue Schutzzonen für den 15. Bezirk zu fordern – was jede Partei im Bezirk per Antrag hätte tun können. Das ist erst geschehen, als es ohnehin schon zu spät gewesen ist.

Hohe Bauklasse als Einladung zum Abbruch

Je mehr Geschoße und umso größer der Bauplatz, desto höher der mögliche Gewinn. Diese simple Formel hätte auch den Magistraten und Politikern bewusst sein müssen, als der Bebauungsplan 1999 festgelegt wurde, denn die bestehende „Abrisswidmung“ hat die beiden alten Häuser massiv unter Druck gesetzt:

Auf dem Bauplatz der Biedermeierhäuser darf nämlich viel höher gebaut werden, als die Häuser tatsächlich hoch sind. Die festgelegte Bauklasse entspricht einem Gebäude, das nahezu doppelt so hoch ist. Zusammen mit der fehlenden Schutzzone hat die zu hohe Bauklasse förmlich zum Abriss und Neubau eingeladen. Dass sich früher oder später ein Unternehmen finden würde, um dieses Potential bestmöglich auszuschöpfen, erstaunt nicht.

Historische Fassade wird demoliert

Schutzzonen fallen erst dann auf, wenn es sie nicht gibt. So auch in der Mariahilfer Straße 166-168 im Juni 2018, als wenige Tag vor dem Inkrafttreten der oben angesprochenen verschärften Bauordnung plötzlich eine Abbruchfirma anrückte. Arbeiter begannen damit, den z. T. 180 Jahre alten Fassadenschmuck einfach abzuschlagen.

Im Juni 2018 wurde die zuvor intakte Fassade teilweise abgeschlagen.

Während im Erdgeschoß noch ein Geschäft und ein Restaurant in Betrieb waren, werkte in den Stockwerken darüber die Abbruchfirma. Fenster wurden herausgerissen, selbst eine frisch renovierte Fassade blieb nicht verschont. Nach der damaligen Gesetzeslage dürften die Bauarbeiten völlig legal möglich gewesen sein, denn die Baupolizei schritt nicht ein bzw. hatte offenbar keinerlei Handhabe dagegen.

Noch im Jänner 2020 waren die Schäden unübersehbar:

Das Ziel der Aktion scheint folgendes gewesen sein: Die historische Fassade sollte wohl gezielt demoliert werden, damit das Gebäude nach der Gesetzesänderung nicht als erhaltenswert gilt und trotzdem abgerissen werden darf.

Dabei war ursprünglich anscheinend gar kein Abriss und Neubau geplant, wie Bezirksvorsteher Gerhard Zatlokal (SPÖ) zur Bezirkszeitung sagte:

Die Hauseigentümer haben um einen Dachgeschoßausbau angesucht, dieser wurde vom Bauausschuss auch genehmigt. Bei der Baupolizei, der MA 37, wurde dann allerdings ein Neubau eingereicht – das war nicht ausgemacht.

Warum ein Neubau nun doch präferiert wurde, ist klar: In neuen Gebäuden lassen sich mehr Stockwerke, also mehr Flächen unterbringen. Der Bau ist außerdem kostengünstiger, da keine Rücksicht auf einen Altbestand genommen werden muss.

Zumindest nach einer Visualisierung von 2018 handelt es sich beim geplanten Neubau um ein fünfgeschoßiges Gebäude samt zwei nach hinten versetzten Dachgeschoßen. Ermöglicht durch die viel zu hohe Bauklasse.

Baupolizei stoppt Abriss

Ende Juni 2018 wird die Bauordnungsnovelle mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und FPÖ beschlossen. Seither dürfen vor 1945 erbaute Gebäude nur noch dann abgerissen werden, wenn die Magistratsabteilung für Architektur und Stadtgestaltung (MA 19) feststellt, dass es sich nicht um erhaltenswerte Bauten handelt. Das galt auch für jene Gebäude, die schon teilweise abgerissen wurden.

Für die Häuser in der Mariahilfer Straße gab es eine rasche Prüfung, die positiv ausfiel: Die Häuser wurden als erhaltenswert eingeschätzt, der begonnene Abbruch durfte nicht fortgesetzt werden.

Petition für Erhalt

Die Sache rief auch viele Bürgerinnen und Bürger auf den Plan. Eine Petition, die die Stadtregierung aufforderte, sich für den Erhalt der beiden Häuser einzusetzen, erreichte bald die nötigen Unterschriften. Im Petitionstext heißt es:

Die historischen Häuser auf der Mariahilfer Straße 166-168 im Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus bilden mit den angrenzenden Häusern der Seitengassen Karmeliterhofgasse und Oesterleingasse ein spätbiedermeierliches Ensemble. Der jetzige Eigentümer möchte dieses Ensemble abreißen und an seiner Stelle einen siebengeschoßigen Neubau (inkl. Staffelgeschoßen) errichten.

Der Petitionsausschuss, in dem Vertreter aller Parteien im Gemeinderat sitzen, empfahl …

… bei den laufenden Genehmigungsverfahren für die Aufstockung der zwei Gebäude auf die Schutzwürdigkeit der Bausubstanz Bedacht zu nehmen. Da keine Genehmigung für den Abriss der Biedermeierhäuser vorliegt, wurde die Petition abgeschlossen, wobei auf die offenen Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof verwiesen wurde.

Kurz gesagt: Die Wiener Politik hat sich mehrheitlich gegen den Abriss ausgesprochen, auch wenn der Petitionsausschuss letztlich nur Empfehlungen abgeben kann.

Effektiver wäre es gewesen, schon 1999 oder in den 20 Jahren dazwischen mit politischer Mehrheit (Regierung bis 2001 SPÖ/ÖVP, 2001-2010 SPÖ, 2010-2020 SPÖ/Grüne, seit 2020 SPÖ/Neos) einen Bebauungsplan zu beschließen, der Abbrüche möglichst erschwert und somit Sanierungen und eine sanfte Modernisierung gefördert hätte.

Aus für Geschäfte und Lokale

Im ganzen Erdgeschoß an der Front zur Mariahilfer Straße reihten sich früher Geschäfte und Lokale aneinander. Die meisten hatten wohl schon länger geschlossen. Zur Zeit der Abbrucharbeiten waren noch ein Uhrmacher und ein Vietnamesisches Restaurant geöffnet, letzteres noch bis ins Frühjahr 2020.

Dachausbau statt Totalabriss?

Die Alternative zum Abbruch ist ein Dachausbau, bei dem die darunterliegende historische Bausubstanz erhalten bleibt. Auch wenn in Wien nicht wenige brutale Aufstockungen den Altbestand förmlich erdrücken (und mitunter sogar historische Kuppeln weichen mussten), ist vielen Häusern so zumindest ein kompletter Abriss erspart geblieben.

Der Baustopp samt untersagtem Abriss hat auch den Immo-Investor in der Mariahilfer Straße zumindest zwischenzeitlich zu einem Umdenken bewogen. Anlässlich der oben zitierten Petition teilte der Eigentümer im März 2019 mit:

Aktuell steht alles vor Ort still und wir warten auf die Rechtskraft für die Baugenehmigung „Sanierung/DG Ausbau“.

Noch bis Anfang 2020 war auf der Webseite der Immobilienfirma ein Sanierungsprojekt zu sehen. Demnach sollten den Altbauten zwei zusätzliche Stockwerke plus Dachgeschoß aufgepfropft werden (Visualisierung liegt dem Verfasser vor). Auch in einem Artikel im „Standard“ vom Juli 2019 ist von einer Sanierung die Rede.

Der Gang durch die Instanzen

Die erzwungenen Abriss-Stopps im Sommer 2018 haben zu gehörigem Unmut bei Bauträgern und Investoren geführt. Mehrere Unternehmen reichten Klage ein, um die Abrisse doch noch durchsetzen zu können. Die Ergebnisse sind im Einzelnen für Außenstehende wenig nachvollziehbar:

  • Bei einer historischen Fabrik in Simmering dürfte es zu einer Einigung von Investor und Baupolizei gekommen sein, denn der Altbau bleibt bestehen und wird in den Neubau integriert.
  • Ein riesiger historistischer Gebäudekomplex in der Jörgerstraße (18. Bezirk) war vor Inkrafttreten des Baustopps noch fast vollständig erhalten. Nur einige Fenster waren schon entfernt worden. Trotzdem durfte das Gebäude später weiter abgerissen werden.
  • Der Abbruch eines Wohnhauses im 2. Bezirk, das ehedem eine Mikwe (jüdisches Ritualbad) beherbergt hatte, durfte Monate später fortgesetzt werden – trotz bescheinigter Erhaltungswürdigkeit.
  • Mit dem halb abgerissenen, doch immer noch bewohnten Haus in der Radetzkystraße 24-26 (3. Bezirk) sind seit 2018 die Gerichte beschäftigt. Der Vorwurf der Nichtbeachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Erhaltungspflicht steht im Raum.

Und schließlich die Biedermeierhäuser in die Mariahilferstraße, um die es in diesem Artikel geht: Das Verwaltungsgericht bestätigte den gültigen Abrissstopp. Der Eigentümer suchte daraufhin um außerordentliche Revision an, der Fall ging laut Bezirkszeitung an den Verwaltungsgerichtshof (das Höchstgericht in Verwaltungsangelegenheiten).

Es darf abgerissen werden

Im Juni 2020 wurde die Entscheidung des Gerichts bekannt (Infos liegen WienSchauen vor): Der Abrissstopp ist rechtlich nicht gedeckt. Damit stand einem Totalabriss der 1840 erbauten Häuser nichts mehr im Weg.

Beide Häuser im Sommer 2020 demoliert

Die Abbrucharbeiten begannen im Juli 2020.

Anfang August 2020 war von Haus Nr. 166 fast nichts mehr übrig:

Selbst dem erst vor einigen Jahren renovierten Haus Nr. 168 ging es an den Kragen.

Archäologische Sensation im Untergrund

Im August 2020 – mitten während der Abbrucharbeiten – wurden WienSchauen Infos zugespielt, denen zufolge es unter den Häusern zu einem spektakulären archäologischen Fund gekommen ist. Demnach lag unterhalb des Kellers ein Rest der sogenannten Albertinischen Wasserleitung. Gefunden wurde ein etwa 50 Meter langer und 1,4 Meter hoher Gang, an dessen Ende sich zwei Rohre der 1804 erbauten Wasserleitung befanden.

Die bis 1890 in Betrieb befindliche Leitung verlief von Hütteldorf bis in die südwestlichen Vorstädte, die so mit sauberem Trinkwasser versorgt wurden (u.a. Josefstadt, Gumpendorf, Mariahilf). Zahlreiche Brunnen speisten sich aus dieser Leitung, z.B. der Isisbrunnen im 8. Bezirk. Erst mit dem Bau der ersten Wiener Hochquellwasserleitung (1873) verlor die Albertinische Wasserleitung an Bedeutung.

Bundesdenkmalamt und Wiener Stadtarchäologie sind über diesen Fund in Kenntnis gesetzt worden. Das Denkmalamt zeigte wenig Interesse am Erhalt. Von der Stadtarchäologie heißt es bloß, man habe den Fund dokumentiert (Antworten liegen WienSchauen vor). Anstelle des Kellers wird eine große Garage für PKW errichtet (wozu der Eigentümer per Gesetz verpflichtet ist, selbst wenn die Stellplätze gar nicht benötigt werden).

Viele Abrisse im 15. Bezirk

Die beiden Biedermeierhäuser reihen sich in die vielen Abbrüche ein, die alleine der 15. Bezirk in den letzten Jahr(zehnt)en zu verzeichnen hatte:

Architektonische Beliebigkeit

So kommt also ein Neubau. Gäbe es Vorschriften, dass sich ein neues Gebäude in die gewachsene historische Umgebung auch passend einfügen muss, wäre die Aufregung vielleicht etwas geringer. Doch eine solche Vorschrift gibt es nicht.

Die Stadt Wien gibt keinen gestalterischen Rahmen für Neubauten vor. Seit der Deregulierung der Bauordnung in den 1980ern darf selbst in Schutzzonen nahezu völlig beliebig gebaut werden. Die Resultate sind bisweilen verheerend. Beispiele: Hernalser Hauptstraße 59-63, Redtenbachergasse 4 (Ottakring), Marchettigasse 8 (Mariahilf).

Die architektonischen Brüche zwischen Alt- und Neubau sind de facto gewollt, denn wären sie es nicht, sähe die gesetzliche Regelung anders aus. Das heißt aber auch, dass eine Änderung der derzeitigen Praxis ohne weiteres möglich ist. Damit sich Neubauten besser in die gewachsene Umgebung einfügen, müsste nur der entsprechende Paragraph (§ 85 Abs 5) in der Wiener Bauordung geändert werden. Auch ein Gestaltungsbeirat könnte eingerichtet werden, um Entwürfe besser bewerten und zusammen mit den einreichenden Architekten adaptieren zu können – mit der Maßgabe: Das neue Haus muss sich gut einfügen und einen ästhetischen Mehrwert bieten.

Die vielen Baustellen bei der Altstadterhaltung

Das Urteil des Gerichts ist zu akzeptieren. Nicht zu akzeptieren ist aber, wie immer noch durch fehlende Schutzzonen, zu hohe Bauklassen und nicht ausreichende Gesetze historische Wiener Häuser in Gefahr gebracht werden:

  • Die 2018 geänderte Bauordnung schützt vor 1945 erbaute Häuser besser. Also alle danach erbauten und mittlerweile ebenfalls schon historisch gewordenen Häuser aber nicht.
  • Die Stadt Wien hat sich zum Schutz historischer Gebäude vor Abriss und Verfall bekannt. Das hat das zur Stadt Wien gehörende AKH nicht daran gehindert, eine historische Klinik (erbaut 1909-1911) des Ringstraßenarchitekten Emil von Förster abzureißen. Und auch eine zweite historische Klinik darf weiter verfallen, ein Abbruch ist schon eingeplant.
  • In Kaisermühlen gilt seit 2020 eine Schutzzone, um die noch verbliebenen alten Häuser vor dem Abbruch zu schützen. Dabei wurde anfangs auf viele Häuser einfach „vergessen“. Erst ein überarbeiteter Plan hat einen umfassenden Schutz sichergestellt.
  • Zwei Gebäude in einem historischen Ortskern im 21. Bezirk werden trotz Schutzzone abgerissen. Lukrativ wird der Abbruch, da der Bebauungsplan nicht an die alten Häuser angepasst ist (also viel größer und höher neu gebaut werden darf).
  • Nur wenige Schritte von den Biedermeierhäusern in der äußeren Mariahilfer Straße entfernt ist 2020 eine neue Schutzzone beschlossen worden. Damit werden die alten Häuser dort erstmals gegen Abrisse geschützt, doch wurden einige Häuser nicht in die Schutzzone aufgenommen.

Wer hört die Initiative Denkmalschutz?

Oftmals unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit aktualisiert die Stadt Wien Jahr für Jahr die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne. Was sich sperrig anhört und auch so liest, entscheidet letztlich, welche Häuser künftig wahrscheinlich erhalten bleiben und welche einfach abgebrochen werden dürfen.

Jahr für Jahr und Umwidmung für Umwidmung ist es die Initiative Denkmalschutz, die sich diese Pläne ansieht und umfangreiche Stellungsnahmen mit konkreten Verbesserungsvorschlägen verfasst. Wieder und wieder weisen die Mitglieder der Initiative auf fehlende Schutzzonen, zu hohe Bauklassen und gesetzliche Lücken hin.

Wenn es den Politikern im Gemeinderat und den Bezirken wirklich darum geht, das alte Wien zu erhalten, „Spekulation“ einzudämmen und die sanfte Stadterneuerung zu fördern, dann müssen die Vorschläge der Initiative Denkmalschutz endlich umfassend Gehör finden. Dann wären auch Fälle wie in der Mariahilfer Straße 166-168 kaum noch möglich.

Kontakte zu Stadt & Politik

+43 1 4000 15110
 
Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien in der obigen Liste orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im Dezember 2020.)
+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen und weitere Infos

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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