Über viele Jahre hinweg wurden laufend erhaltenswerte Altbauten abgerissen. Das auch in Ortsbild-Schutzzonen und auch nach der Verschärfung der Bauordnung im Jahr 2018. Doch welche Gebäude waren und sind betroffen? Das hielt die Stadt Wien lange Zeit geheim.
Jetzt liegen die Zahlen für 2023 vor. Zu verdanken ist das einem Gemeinderat der Grünen, der unermüdlich Transparenz eingefordert hat – bis hin vor Gericht.
Transparenz: Grüne vs. Stadt Wien
Seit den ersten Artikeln auf WienSchauen sind Abrisse von Altbauten ein zentrales Thema. Dabei kommen immer wieder zwei entscheidende Fragen auf:
- Warum werden nachweislich erhaltenswerte Gebäude abgerissen?
- Für welche Gebäude wird um Abriss angesucht und bei welchen wird dem stattgegeben?
(1) Problem: Abbruchreife
Schutzzonen und der seit der Bauordnungsnovelle 2018 bestehende potenzielle Schutz für alle vor 1945 errichteten Gebäude können umgangen werden. Dazu muss nachgewiesen werden, dass ein Gebäude „abbruchreif“ ist, also wirtschaftlich nicht mehr sanierbar. Die längste Zeit ging das relativ einfach. Der Vorwurf von allzu freundlichen Gutachten als Basis für die Abbruchreife wurde immer wieder als Kritik angeführt. Ein virulentes Problem war, dass die Gutachten von den Firmen, die abreißen wollten, selbst beauftragt und bezahlt wurden und die Behörden sich auf diese Gutachten stützen. Diese Praxis wurde erst Ende 2023 durch eine Gesetzesänderung eingeschränkt (siehe Blog im Standard).
(2) Problem: Intransparenz
Über die meisten Abrisse erfährt die Öffentlichkeit erst, wenn sie geschehen. Regelmäßige Berichte werden nicht herausgegeben, obwohl die Behörden über das „öffentliche Interesse“ an der Erhaltung von Gebäuden entscheiden. Vor einigen Jahren erhielt die Öffentlichkeit erstmals näheren Einblick. Anlass war eine Anfrage des grünen Wohnbausprechers Georg Prack. In der Antwort von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) wurden Adressen von Häusern aufgelistet, bei denen im Jahr 2022 Abbruchverfahren liefen bzw. Abbrüche bereits genehmigt waren. Die vielen Abrissgenehmigungen aufgrund von Abbruchreife verwiesen auf den Reformbedarf in der Bauordnung. (Hier ist die Liste.)
Auch 2024 und 2025 stellte Prack vergleichbare Anfragen im Gemeinderat. In den Antworten wurden zwar Zahlen genannt, mehr aber nicht. „Aus datenschutzrechtlichen Gründen können keine konkreten Adressen aufgelistet werden“, heißt es vom Wohnbauressort. Prack ersuchte danach um Auskunft nach dem Auskunftspflichtgesetz. Die Sache ging zum Verwaltungsgericht Wien, in dessen Erkenntnis festgehalten wurde, dass Auskunft zu erteilen ist. Die Stadt Wien erhob Amtsrevision und stellte einen Antrag auf aufschiebende Wirkung, der vom Verwaltungsgericht abgelehnt wurde. Die lange gesuchten Adressen sind jetzt endlich öffentlich (siehe unten).
2023: Viele Altbau-Abrisse genehmigt
Die vorliegende Liste umfasst das Jahr 2023. Alleine in diesem Jahr wurde bei 30 Gebäuden ein Antrag auf Abbruchreife gestellt. Nicht über alle Anträge wurde 2023 entschieden.
2023 wurden viele Abbruchanträge bewilligt. Das heißt: Weder Schutzzonen noch der Schutz für vor 1945 errichtete Altbauten funktionierten effektiv. Das ist wohl auch der Grund, warum Ende 2023 noch einmal gesetzlich nachgeschärft wurde. Für die unten angeführten Gebäude kommt das jedoch zu spät.
Nur für im Vergleich wenige Gebäude wurden die Anträge auf Abbruchreife nicht bewilligt. Bei etlichen wurden die Anträge zurückgezogen.
Diese Häuser sind betroffen - Beispiele
Bei u.a. folgenden Gebäuden wurde 2023 der Abbruch aufgrund von Abbruchreife erlaubt. Sie dürfen abgerissen werden bzw. sind bereits abgerissen worden. Darunter sind ein historisches Kino, ein altes Krankenhaus und ein kleines Haus in einer Schutzzone.
Ein Ansuchen auf Abbruch wegen Abbruchreife wurde bspw. für die Adresse Landstraßer Gürtel 3A gestellt. Dabei dürfte es sich um die unten abgebildeten Gebäude handeln. Über den Ausgang des Abbruchverfahrens wurde 2023 noch nicht entschieden.
Bei u.a. den unten abgebildeten Gebäuden wurde der Antrag auf Abbruchreife abgelehnt. Eines davon ist eine architektonisch bedeutsame Villa aus den 1930er-Jahren.
Neuere Häuser: Ungezügeltes Abreißen erlaubt
In der obigen Liste geht es um Altbauten. Für nach 1945 errichtete Gebäude besteht abgesehen von Schutzzonen und Denkmalschutz keinerlei Schutz. Die allermeisten Häuser der Zweiten Republik können also ohne vorherige Prüfung abgerissen werden. Das gilt auch für Werke bekannter Architekten und für stadtbildprägende Bauten. Eine Änderung im Wiener Baurecht ist dringend nötig, um diesen Übelstand zu beseitigen.
Kontakte zu Stadt & Politik
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Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im Jahr 2025.
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- Die geheime Liste: Diese Altbauten in Wien sollen abgerissen werden (Profil, 21.6.2025)
- Die geheime Abriss-Liste der Stadt Wien (Falter, 8.4.2025)
- Warum ein Gemeinderat Infos von der Stadt Wien einklagen muss (Profil, 25.2.2025)
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